Ried/Wien – Die Wikinger, das waren einst wilde Hunde. 1995 gelang dem Verein aus dem 12.000-Einwohner-Ort mit den vielen Kreisverkehren ein kleines Fußballwunder. Klaus Roitinger, der damalige Ried-Trainer, führte sein Team in die (damals noch) 1.Division und avancierte, zumindest im Bezirk, zur Kultfigur. Die Innviertler kickten beherzt, unbekümmert, mitunter sogar ansehnlich. 1998 putzte man Sturm im ehemaligen Hanappi-Stadion 3:1 und sorgte mit dem Cup-Triumph dafür, landläufig als kleines Phänomen zu gelten. Bis zum allerletzten Spieltag der Saison 2003 waren die Oberösterreicher nie auf einem Abstiegsplatz zu finden, erst ein kurioses Finish zwang die Rieder in Liga zwei.
2005 gelang der Wiederaufstieg. Davor und danach war Ried im eigenen Stadion 18 Monate lang unbesiegt, die Heimarena mit 7600 Plätzen war regelmäßig ausverkauft. Ried konsolidierte sich in der Liga und mauserte sich zum Vorzeigeklub für Kleinstadtteams mit flacher Kasse. Mit einem aktuellen Jahresbudget von rund 5 Millionen Euro bewegt man sich nicht erst seit gestern im unteren Drittel der Möglichkeiten. Die SV Ried steht seit jeher für Bodenständigkeit, für eine in Zeiten budgetärer Selbstüberschätzung fast schon archaisch wirkende ökonomische Behutsamkeit. Es scheint, als wäre man der Realität hier stets treu geblieben. Druck, vorne mitzuspielen, gab es nie. Man stapelte weder hoch, noch tief. Kaum Kampfansagen an die großen Vier, aber klare Distanzierung vom Tabellenende. Die Sportvereinigung verkörperte dabei den klassischen Mittelständler wie kein anderer Bundesligaklub und wenn die Sensationen (Cupsieg 2011, Vizemeister 2007, insgesamt fünf Quali-Teilnahmen an europäischen Bewerben) handfest wurden, so waren sie das Produkt konzentrierter Arbeit unter den Vorzeichen der Ungezwungenheit. In Ried musste man lange Zeit nichts, außer anständig Fußball spielen – und die Klasse halten.
Reiter und Ried – Aufstieg und Fall
Konstrukteur dieser Konsolidierung war Stefan Reiter. Der 56-jährige mit dem Grantler-Image kehrte 2004, nach einem kurzen Intermezzo beim Paschinger Lokalrivalen, zu seinem Stammverein zurück. Als Manager war er höchst umtriebig, engagierte sich in diversen Gremien, wollte das krustelnde Liga-System erneuern. In der Rolle des Sportdirektors traf er zumeist die richtigen Entscheidungen. Innerhalb einer Ausbildungsliga als Sprungbrettverein herhalten zu müssen, ist für keinen Verein eine lustige Angelegenheit. Sind die Spieler gut, sind sie im Handumdrehen wieder weg – oft reichte eine passable Halbsaison – spielen sie nicht gut, ist Ried weg. Spieler kamen, Spieler gingen. Reiter bewahrte kühlen Kopf, bewies bei Transfers zumeist ein gutes Händchen und sorgte für einen fortwährend ausgeglichenen Kader.
Für lange Zeit ging das gut – sensationell gut sogar. Spätestens mit 2014 kehrte der Schlendrian ein. Reiter überwarf sich mit dem damaligen Trainer und Ried-Urgestein Michael Angerschmid, dessen Nachfolger Glasner entschied sich nach knapp einem Jahr im Amt für den Erzrivalen LASK, auch ein Statement. Die Kader-Nachbesetzung funktionierte plötzlich nicht mehr wie erhofft. Die Abgänge von Stützen wie Anel Hadzic, Robert Zulj, Rene Gartler, Stefan Lainer, Oliver Kragl, Thomas Murg, Petar Filipovic oder auch Denis Thomalla wurden qualitativ nicht ersetzt. Gestandene Transfers floppten, aus den Akademien empfahl sich kaum jemand. Mit dem Streben nach dem Alleinstellungsmerkmal, erste Anlaufstelle für die Jugend aus dem Umland zu sein, ist man in Österreich fast nirgends alleine. Vor allem nicht zwischen Linz und Salzburg.
In der diesjährigen Winterpause fand die intern bereits köchelnde Kritik an Reiter den Weg in die Öffentlichkeit. Dessen eigenwilliger Charakter, die unzureichende Kaderzusammenstellung, die Bestellung des glücklosen "Plan B"-Trainers Christian Benbennek und – wohl auch – das personelle Aufrüsten der sich ebenfalls im Schlamassel befindenden Konkurrenz Mattersburg und St.Pölten während der Winterpause, sorgten für Argwohn im Rieder Präsidium. Wortführer der Kritik war Finanzvorstand Roland Daxl, Geschäftsführer des gleichnamigen oberösterreichischen Autohauses. Anfang Februar verlautbarte Daxl im Namen des Vorstands, man sei mit der Arbeit des Sportdirektors nicht mehr zufrieden. Hinter den Kulissen bastelte man zu diesem Zeitpunkt bereits an Reiters Ablöse. Dessen schicksalsergebene Reaktion: "Mich schreckt gar nichts mehr." Am 6. Februar, kurz vor Beginn der Frühjahrsrückrunde, tat Reiter dem Verein wohl einen Gefallen. Um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln, wurde sein Vertrag in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst.
Die neue Ordnung
Als Reiter-Nachfolger wurde zwei Tage später der erst 30-jährige Ex-ÖFB-Verteidiger Franz Schiemer bestimmt, sozusagen als Versuch des Präsidiums, drei Fliegen mit einer Klappe zu erwischen. Fliege eins: Die Fans. Schiemer gilt als Stalleigener, als Rieder Bua, immerhin verbrachte er fast ein Drittel seiner Lebenszeit beim Klub. Fliege zwei: Der Fokus auf die Jugend. Schiemer spielte in Salzburg, war zuletzt Co-Trainer bei Liefering. Es gibt Unvorteilhafteres, als gute Kontakte dorthin zu haben. Fliege drei: Berufliche Quereinsteiger gelten nicht unbedingt als beratungsresistent. Der Einfluss des Vorstands auf Schiemers Entscheidungen wird zunehmen.
Die erste Amtshandlung des Sportdirektors war ein Sprung ins eiskalte Wasser. Nach drei Niederlagen in Serie und dem Abrutschen ans Tabellenende musste er diese Woche den Trainer entlassen. Der Abschied des Deutschen Benbennek war schon nach der 0:1-Niederlage bei der Admira so gut wie besiegelt, er leitete aber noch bis Mittwoch die Trainings, um einen geregelten Übergang zu ermöglichen. "Der Abgang ist intern super abgelaufen, er war loyal bis zum Schluss", dankte Schiemer dem Ex-Coach.
Seit Mittwoch ist Benbenneks Nachfolger bekannt: Laassad Chabbi kommt von Austria Lustenau und unterschrieb einen – auch für die erste Liga gültigen – Vertrag bis 2019. Am Donnerstagnachmittag leitete er seine erste Trainingseinheit.
Abstieg für Chabbi kein Thema
"Ich habe das Wort Abstieg von meiner Festplatte gelöscht" betonte der 55-Jährige davor im VIP-Klub der Keine Sorgen Arena. Chabbi dürfte Wunschkandidat gewesen sein: "Ich habe mich schon als Trainer in Liefering mit Lustenau beschäftigt. Chabbis Mannschaft war immer gut eingestellt, es war eine klare Handschrift zu erkennen. Als er im März 2015 in Lustenau anfing, hatten sie dort eine ähnliche Situation, wie wir jetzt. Und er hat aus Austria Lustenau einen Aufstiegsaspiranten gemacht", sagte Schiemer.
Chabbi, gebürtiger Tunesier mit österreichischem Pass, coacht erstmals einen Klub im Oberhaus. Zuvor verdiente er sich seine Sporen als Co-Trainer in seiner Heimat Tunesien und in Katar. In Österreich war er vor seinem Lustenau-Engagement für den FC Bludenz sowie lange Jahre in der Vorarlberger Akademie (2007-2014) tätig. Selbst bezeichnet er sich als Teamtrainer: "Ich bin kein Alleinherrscher, mit einer Hand kann man nicht klatschen, sondern nur Watschen geben". Für Auch-Nicht-Alleinherrscher Schiemer kam nur ein Coach mit Erfahrungen im Kampf um den Klassenerhalt infrage. "Es gibt nicht viele Trainerkandidaten, die für uns in der jetzigen Situation geeignet sind", so Schiemer.
Über kurz oder lang wollen die Wikinger wieder zurück in den Mittelstand finden. 13 Partien hat Chabbi nun Zeit, die Talfahrt zu stoppen und die Innviertler vor dem Abstieg zu bewahren. Am Samstag kommt die Austria in die Keine Sorgen Arena. Ungezwungenheit ist nicht. Die Rieder müssen. (buc, APA, 3.3.2017)