Medeas Widersacher Akamas (Jens Ole Schmieder), im Bild mit Petra Staduan.

Foto: Bettina Frenzel

Wien – Autorin Christa Wolf hat einer übel beleumundeten Geschlechtsgenossin die Würde zurückerstattet. In ihrem Roman Medea. Stimmen (1996) räumte sie mit einer Reihe von Mythen auf, die über die stolze Kolcherin seit jeher – zu deren Schaden – kursieren. Diese sei eine Wilde gewesen, von Jason erst gezähmt, dann entsorgt und im fremden Korinth sich selbst überlassen worden. Woraufhin Medea die gemeinsamen Kinder gemeuchelt habe.

Wolfs Roman überträgt die archaische Gesinnung in das nüchterne Deutsch staatlicher Vernunft. Medea scheitert nicht etwa daran, dass sie ungehobelt auftritt. Ihr Status als Migrantin unterminiert all ihr Handeln und Wähnen. Korinth wurde für diesmal im Kosmos Theater in Wien-Neubau neu errichtet: ein kleines Labyrinth aus schwarz beklebten Teppichbahnen, die gleich erstarrten Wellen emporragen (Ausstattung: Caro Stark).

Wolfs Prosa verführt nachhaltig zur Dramatisierung. Der Text wechselt reihum zwischen den handelnden Personen. Erzeugt wird im Stadtstaat, in dem man vornehmlich das "Gold" liebt, ein Klima der permanenten Verdächtigung. Produziert werden Sündenböcke; zugleich drohen die Asylnehmer das Schweigen über die blutigen Staatsgrundlagen zu brechen.

Man findet, mit einem Wort, in Regisseurin Julia Kneussels Wolf-Adaption aus dem zustimmenden Nicken gar nicht mehr heraus. Man entbehrt aber auch schmerzlich die zündende dramatische Idee: den augenfälligen Konflikt. Denn die vier wunderbaren Schauspieler, voran Anne Grabowski als lässige Kolcherin, müssen viel zu viel Prosa aufsagen.

Der Korinther Astronom und Staatsmann Akamas (Jens Ole Schmieder) ist Medeas wahrer Widersacher: ein aalglattes Organ der Vernunft, dessen Gewissensqualen sich darauf beschränken, die passende Krawatte zu wählen. Die Stellung der Kolcherin im Staat wird von seinesgleichen bedroht. Die Tötung der Kinder aber übernimmt das Gemeinwesen an ihrer statt.

Man fühlt sich von dieser Produktion liebenswürdig an der Hand genommen. Widerborstige Synthesizermusik wird samt Bassbegleitung live zum Besten gegeben. Man wird der Erkenntnisse, die man beim Abnehmen der Monologe sammelt, dennoch nicht recht froh. Man hätte den geheimen Punkt, in dem sich die Kraftlinien von moderner Räson und archaischer Magie kreuzen, gerne schärfer herausgeleuchtet gesehen. (Ronald Pohl, 3.3.2017)