Graz – "Was die Menschen eint, sind die Geschäfte." Mit dieser simplen kapitalistischen Einsicht treten am Ende von Heiner Müllers Theaterstück Der Auftrag (1979) die Revolutionäre gesenkten (oder guillotinierten) Hauptes den Rückzug an. Drei Abgesandte der Französischen Revolution hätten in Jamaika den gesellschaftlichen Umbruch einleiten sollen. Doch die Mission wird mit dem Regierungswechsel daheim (Napoleon) abgeblasen. Außerdem: Schon drei sind zwei zu viel! Jeder hat eigene Interessen.
Puppentheater kapern
Von diesem Ende weg – am Grazer Schauspielhaus musikalisch eingetaucht in Jim Morrisons Abschiedshymne The End (famos intoniert von Florian Köhler als Galloudec) – rekapituliert Müller das Scheitern der Revolution im Rückblick. Also: Der bretonische Bauer Galloudec (Köhler), der rebellische Sklavenhaltersohn Debuisson (Julia Gräfner) und der dunkelhäutige Sasportas (Komi Mizrajim Togbonou) kapern den klapprigen Planwagen einer Puppentheatergruppe, samt der sich darauf befindenden "Inszenierung" von Georg Büchners Stück Dantons Tod – und ab geht's in die Karibik. Man quetscht also die weiße Revolution ins Überseegepäck, um sie dort einer aus Herr und Knecht gezimmerten Gesellschaft als zersprengendes Mittel vorzuführen und unterzujubeln.
Die Kopplung von Heiner Müller mit Georg Büchner liegt auf der Hand, die Idee ist im Auftrag vorgegeben. Das Theater hat über dieser sinnfälligen Verschmelzung längst gebrütet, u. a. 2001 am Akademietheater mit einer achtstündigen !Revolution! von Andreas Kriegenburg. Mehr Fortüne als dieses Großprojekt damals hatte nun das Schauspielhaus Graz. Das mag auch daran liegen, dass eine in Bewegung geratene Gesellschaft gerade heute den verabschiedeten Utopien deutlich schmerzlicher hinterherwinkt als noch vor fünfzehn Jahren, zur Hochblüte des Konsensdenkens.
Unsichtbare Lenker
Jan-Christoph Gockel forscht in seiner Inszenierung der "Puppenhaftigkeit" unseres Tuns hinterher. Er zeigt, es gibt immer eine weitere Hand, die die Fäden zieht, selbst den Marionettenspieler führt ein unsichtbarer Lenker. Der Gedanke stammt aus Büchners Dantons Tod: "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!"
Davon geben die Schauspieler ein frappierendes Exempel ihrer Kunst zum Besten; sie bringen die doppelten Maskierungen ihrer Figuren zum Schimmern: Allen voran trumpft die grandiose Schauspielerin Julia Gräfner mit dem feisten Schritt eines glatzköpfigen Mafiosos als umsturzwilliger Debuisson auf. Sprechen kann diese Frau und sich verwandeln, dass einem die Spucke wegbleibt. Debuisson muss – wie passend – seine revolutionäre Façon zunächst unter einem restaurativen Mäntelchen versteckt halten, um in Jamaika eingelassen zu werden.
Vom Jahrgang 1789 bleibt der Champagner
Seine Maskierung steht dem Herrn nur leider allzu gut, die Verkleidung entpuppt sich als das wahre Ich, das eines Sklavenhalters. Dabei hat er sich kurz zuvor noch der Parolen der nach Jamaika mitgebrachten Jakobiner-Klappmaulpuppen Danton und Robespierre versichert. Von 1789 bleibt nur der Château Lafite. Denn jetzt will Debuisson "sitzen, wo gelacht wird", und er entleert sich in der karibischen Einöde auf einem Klo to go.
Mit dem gekaperten Puppenspiel (das handwerkliche Präzision vermissen ließ) und seinen Akteuren (Michael Pietsch, Raphael Muff), die sich nur für ihre "Kunst" interessieren, spielt Regisseur Gockel (zuletzt: Merlin) den Ball zurück an die eigene Zunft und an das Publikum: Geht nicht ins Theater, geht auf die Straße! Verlasst eure Blasen. Bei diesem Totengedenken der Französischen Revolution konnte man deutlich sehen, wohin das führt!
Klischeehafte Opfergeschichte
Um Puppenspiel geht es auch in der österreichischen Erstaufführung von Philipp Löhles Du (Norma). Die auf den männlichen Part von Du (Normen) folgende weibliche Variante einer künstlichen Biografie türmt Klischees einer weiblichen Opfergeschichte aufeinander (am Gymnasium vergewaltigt, Drogen genommen, Studium geschmissen, schwanger geworden, wieder Drogen genommen, vom Prinzen errettet etc.).
Trotz einer die Künstlichkeit unterstreichenden Deutung mittels Riesenstoffpuppe (Frank Holldack) gelingt es Regisseur Dominic Friedel nicht, den Eindruck der Flachheit abzuwenden. Das komplex gedachte Sprechkonzept (Regieanweisungen als auktoriale Stimme) und mit ihm die Selbstermächtigungsidee werden auf der Bühne nicht kenntlich. (Margarete Affenzeller, 5.3.2017)