Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) stemmte sich Anfang Jänner mit einem deutlichen Bekenntnis zu einer transparenteren Kriminalstatistik gegen die immer wieder geäußerten Vorwürfe, "das Innenministerium biegt sich oder richtet sich seine Zahlen, wie es sie braucht. Dem möchte ich eine klare Absage erteilen". Ein wissenschaftliches Institut werde die unabhängige Evaluierung der Rohdaten vornehmen; den Namen des Instituts war das zuständige Bundeskriminalamt (BK) im Vorfeld allerdings nicht bereit zu nennen. Anfragen beim Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, mit dessen Beauftragung sich schon Sobotkas Vorgängerinnen Maria Fekter und Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) von den Vorwürfen zu befreien versuchten, und beim außeruniversitären Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie blieben erfolglos.

Es handelte sich um die Fakultät für Informatik der Universität Wien, für die Stefanie Rinderle-Ma am Montag bei der Vorstellung der Anzeigenstatistik neben Sobotka und BK-Chef Franz Lang auf dem Podium stand. Die Datenlage sei österreichweit einheitlich, es gebe eine "gute Ausgangslage" für "hochwertige Analysen", sagte Rinderle-Ma, hoffnungsfroh, dass aus dem Pilotprojekt eine langfristige Zusammenarbeit werde. Die eigentlichen Zahlen wurden freilich nach altem System dokumentiert und in alter Aufmachung präsentiert – in einer 84-seitigen Publikation, deren Überschrift heuer wieder um eine Einerstelle weitergedreht wurde: "Sicherheit 2016".

Der Chef des Bundeskriminalamts, Franz Lang (links), Innenminister Sobotka und Informatikprofessorin Stefanie Rinderle-Ma.
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Mit Playmobil-Figuren wird in dem Bericht illustriert, dass es im Vorjahr in Österreich 537.792 Strafanzeigen gab. Im kurzfristigen Vergleich bedeutet das einen Anstieg um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im Zehnjahresvergleich einen Rückgang um 9,3 Prozent. Die Häufigkeitszahl – darunter verstehen Statistiker die international vergleichbare Quote der Anzeigen je 100.000 Einwohner – lag bei 6.151 und damit dem zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen.

"Big Five" heißen die Deliktgruppen, in denen die Kriminalisten die in ihren Augen gesellschaftlich relevantesten Straftatbestände zusammenfassen. Erstens: Die Zahl der Einbrüche in Wohnungen und Wohnhäuser ging um 16,4 Prozent auf 12.975 Fälle zurück, laut Lang auch, weil die Geschäfte der Alarmanlagenhersteller gut laufen. Zweitens: Die Anzeigen wegen KfZ-Diebstählen sanken um rund zehn Prozent auf 2.994 Fälle.

Einen Anstieg gab es dagegen drittens bei der Gewaltkriminalität um 6,9 Prozent auf 43.098 Fälle. Zurückzuführen sie dieser vor allem auf leichte Körperverletzungsdelikte und die Neuformulierung des Paragrafen "Sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen" (§ 218 StGB). Bei der Wirtschaftskriminalität gab es viertens 53.905 Anzeigen oder einen Zuwachs von 10,9 Prozent. Der stärkste Anstieg wurde fünftens bei als Cybercrime geltenden Delikten gemessen – darunter fallen bestellte, aber nicht gelieferte Produkte aus einem Onlineshop genauso wie die Verbreitung kinderpornografischen Materials –, um 30,9 Prozent auf 13.103 Fälle.

Die mit Abstand meisten Anzeigen im Bundesländervergleich wurden in Wien mit 205.219 (plus 5,2 Prozent) registriert, die wenigsten im Burgenland mit 10.256 (plus 2,6 Prozent). Auch in allen anderen Bundesländern mit Ausnahme Kärntens (minus 0,7 Prozent) gab es Anstiege, den stärksten mit 9,2 Prozent (auf 33.168 Anzeigen) in Salzburg.

270.160 Tatverdächtige wurden im Vorjahr ausgeforscht, davon waren 60,1 Prozent österreichische Staatsbürger. Die am stärksten vertretenen Gruppen unter den 105.551 ausländischen Beschuldigten waren Rumänen (11.021), Deutsche (9.724) und Serben (9.557). Dass auch Deutsche im Spitzenfeld dieser Liste vorkommen, verwundere laut Lang "immer wieder", er begründet das vor allem mit "Touristen". Tatsächlich ist das wenig überraschend, bilden doch Deutsche vor Serben und Türken in der hiesigen Wohnbevölkerung die größte Gruppe nichtösterreichischer Staatsbürger.

Die größte Ausländergruppe bildeten mit 31.199 Tatverdächtigen jene ohne Beschäftigung beziehungsweise nicht rechtmäßig Aufhältige. Dass in dieser Klassifizierung wie schon in den vergangenen Jahren Kategorien wie Arbeitsstatus und Aufenthaltstitel wild gemischt werden, kritisierte Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl bereits im Vorfeld als "nicht wissenschaftlich". Daran änderte auch die diesjährige Begleitung durch die Informatikfakultät nichts.

Den größten Anstieg unter den fremden Tatverdächtigen gab es bei den Asylwerbern. Die Zahl der Beschuldigten unter ihnen stieg von 2015 auf 2016 um 54,1 Prozent von 14.458 auf 22.289 Personen oder 8,3 Prozent aller Verdächtigen. Die zahlenmäßig größten Gruppen waren Afghanen (5.072), Algerier (2.999) und Marokkaner (2.219).

In welchem Verhältnis dieser Anstieg zur höheren Zahl der insgesamt in Österreich aufhältigen Asylwerber steht, lässt sich seriöserweise nicht beantworten, da ihre Gesamtpopulation wegen der täglich vielfachen Entscheidungen über Asylanträge nicht im Jahres-, sondern sogar im Tagestakt schwankt. Punktuelle Vergleichswerte ergeben sich aus Beantwortungen parlamentarischer Anfragen: Am 1. November 2016 befanden sich rund 65.000 Asylwerber in Grundversorgung, am 20. April 2015 waren es rund 35.000.

Die am häufigsten registrierten Straftaten der Asylwerber waren im Vorjahr Diebstähle, Körperverletzungen und Verstöße gegen das Suchmittelgesetz. Ihre Opfer waren zu 60 Prozent andere Asylwerber, zu 16,6 Prozent Österreicher.

Dass Asylwerber überrepräsentiert sind, liegt laut Lang auch daran, dass es sich bei einem großen Teil von ihnen um 17- bis 27-jährige Männer handelt – eine Kohorte, die über alle Nationalitätengrenzen hinweg eine auffällige Kriminalitätsbelastung aufweist. Im Kriminalbericht selbst werden Alters- und Geschlechterverhältnisse der Tatverdächtigen wie schon in den vergangenen Jahren nicht erwähnt.

Die Krux mit der Anzeigenstatistik

Überhaupt muss mit Vorsicht interpretiert werden, was das Innenministerium und das BK "Gesamtkriminalität in Österreich" nennen. Wie immer handelt es sich dabei nur um die registrierte Kriminalität, die einerseits das Dunkelfeld nicht beleuchtet. Wenn etwa die Bereitschaft der Bürger steigt, ein Delikt anzuzeigen, steigt aus Sicht der Exekutive auch die Kriminalität – und umgekehrt. Nicht zuletzt deshalb zählen Australien, Kanada und Schweden zu den Ländern mit den höchsten Raten an Sexualdelikten.

Zum anderen hängt die Zahl der Anzeigen auch von variierenden Gesetzeslagen und der aktiven Ermittlungsarbeit der Polizei ab. Die Verschärfung des Suchtmittelgesetzes im vergangenen Juni und eine daraus resultierende Ressourcenerhöhung der Polizei für die Bekämpfung des Drogenschwarzmarkts brachte mehr Dealer zur Strecke und einen spürbaren Ansteig bei den Strafanzeigen, ohne dass realiter das Volumen verkaufter Drogen gestiegen sein musste.

Der womöglich größte Verzerrungsfaktor: Die Kriminalitätsstatistik ist eine Anzeigenstatistik, die keine Aussage über rechtsstaatlich schuldig gesprochene Täter trifft. Die Aufklärungsquote des Vorjahrs müsste deshalb aus der noch nicht veröffentlichten gerichtlichen Verurteilungsstatistik abgeleitet werden. Doch Sobotka und Lang freuten sich über einen Anstieg: 45,9 Prozent aller Delikte seien aufgeklärt worden. Heißt in Wahrheit: Bei so vielen Tatbeständen gab es einen Tatverdächtigen, über dessen Schuld Richter oder Geschworene entscheiden müssen. (Michael Matzenberger, 6.3.2017)