Die Flüchtlinge jetzt in Hilfsarbeiterjobs zu stecken wäre ein schwerer Fehler, sagt August Gächter.

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Wer schon Bildung mitbringe, müsse diese unbedingt adäquat einsetzen können, so der Soziologe.

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Wien – Österreich verliert bei der Integration von Migranten viel Zeit, sagt Experte August Gächter im STANDARD-Interview. Wenn es dem Land nicht gelinge, die Flüchtlinge ordentlich auszubilden, könnten tausende aus dem System fallen. Vor allem die Afghanen seien gefährdet. Schon in der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass viele in Hilfsarbeiterjobs landen, die sie schnell wieder verlieren. Am Ende stehe oft die Mindestsicherung. Damit Integration gelingt, müsse man an vielen Schrauben drehen, vor allem aber das System der Lehre stark ausbauen.

Das geschriebene Interview wurde stark gekürzt. Das ganze Gespräch, das mehr als eineinhalb Stunden dauert, lässt sich hier und als Podcast nachhören (einfach in der App nach "STANDARD Economics" suchen). Es dreht sich um den Umgang Österreichs mit der Zuwanderung über die Zeit, um die Frage, wie es den einzelnen Gruppen geht, und um die Aussichten der Flüchtlinge.

STANDARD: Eineinhalb Jahre sind die Bilder aus Nickelsdorf und Spielfeld alt, als hunderttausende Migranten durch Österreich zogen. Viele sind geblieben. Wie läuft es bis jetzt?

Gächter: Es war mehr eine Bilderflut als ein außergewöhnliches Fluchtereignis. Die Wellen kommen in einer ziemlichen Regelmäßigkeit. Von denen, die 2015 oder 2016 gekommen sind, haben ganz wenige einen Job. Weniger als fünf Prozent, zum Teil nur ein Prozent. Das geht schleppend. Viele sind auch noch im Asylverfahren. Aber auch viele Flüchtlinge, die schon länger da sind, tun sich schwer. Wir können beobachten, dass sie nur bei hohem Wachstum Fortschritte machen. Viele haben ihre Hilfsjobs in der Krise verloren.

STANDARD: Für Österreich wird das Wirtschaftswachstum aber nicht mehr recht viel höher als ein, zwei Prozent sein. Das sieht düster aus.

Gächter: Ja, wenn wir irgendetwas Zukunftsfähiges schaffen wollen, müssen wir jene, die keine Ausbildung haben – vor allem die Afghanen –, in eine Lehrstelle bringen. Da ist die Gefahr enorm, dass die sonst von einem Hilfsjob zum anderen wechseln und irgendwann aus dem System fallen und sich Dummheiten einfallen lassen. Die, die eine Ausbildung mitbringen, also viele Syrer und Iraker, müssen wir ihrer Qualifikation adäquat beschäftigen. Wenn das nicht beim ersten Job klappt, dann muss es beim zweiten oder dritten klappen. Für die braucht es ein Aufstiegsprogramm beim AMS. Es kann nicht nur darum gehen, sie einfach in Jobs zu bringen.

STANDARD: Lehrstellen zu finden wird auch nicht einfach sein.

Gächter: Wir verlassen uns derzeit darauf, dass die, die eine Lehre machen, bei ihren Eltern wohnen. Bei den Afghanen geht das aber zum Beispiel nicht. Es braucht Stipendien, vielleicht ein staatliches Kreditsystem für Lehrlinge.

STANDARD: Macht Österreich Fortschritte bei der Integration?

Gächter: Wir haben immer versucht, das auf die Einwanderer abzuwälzen. Die müssen sich integrieren. Aber das geht natürlich nicht von selbst. Das ist, wie wenn ich versuche, eine verschlossene Tür aufzumachen. Es muss jemand auf mich zugehen. Wir brauchen die Firmenchefs, die Gewerkschaften, Kammern. Gemeinsam müssen wir intensiv daran arbeiten, das neue Integrationsgesetz hilft uns vielleicht dabei. Wir sind aber 20, 30 Jahre hinter unseren Möglichkeiten, vielleicht bringen wir jetzt im Jahr 2017 ein System zuwege. Noch ist alles total unkoordiniert. Bis das gescheit funktioniert, dauert es noch einmal fünf bis zehn Jahre. Wir verlieren wahnsinnig viel Zeit.

STANDARD: Das Integrationsgesetz verpflichtet Asylwerber zu gemeinnütziger Arbeit. Ist das klug?

Gächter: Ich lese das Gesetz andersherum. Es verpflichtet die öffentliche Hand, Tätigkeiten zu schaffen. Das finde ich gut. Wenn das über die Zivildiensteinrichtungen läuft, könnte es aber ein Problem sein, Arbeit für Frauen zu finden. Das lief schon in der Vergangenheit so, dass oft auf die Frauen vergessen wurde. Außerdem wäre es gut, nicht nur reine Hilfstätigkeiten anzubieten, so wie jetzt.

STANDARD: Schlecht gebildete Migranten tun sich sehr schwer. Die Arbeitslosenrate bei Türken ohne Ausbildung liegt bei 40 Prozent.

Gächter: Ja. Bei den Jugendlichen aus Österreich machen sieben Prozent keine Ausbildung, bei den Türken sind es 30 Prozent. Die haben aber ganz andere Eltern, die Gastarbeiter waren ungewöhnlich schlecht gebildet. Sie haben mehr als die Hälfte aufgeholt. Ich traue mich zu sagen, dass die dritte Generation die gleiche Bildung wie die Österreicher haben wird. Auch die Serben und Bosnier.

STANDARD: Für die 30 Prozent der zweiten Generation wird es aber trotzdem immens schwer.

Gächter: Sie haben ein hohes Risiko, mit 50 arbeitslos zu werden und zu bleiben. Mit 30, 40 geht es noch, nachher wird es ihnen ähnlich gehen wie ihren Eltern mit 50 oder 55. Was die aber nicht hatten, waren die Angebote des AMS, die es jetzt gibt. Noch gibt es Chancen, ich traue mir keine Prognose zu.

STANDARD: Wie geht es den türkischen Frauen am Arbeitsmarkt?

Gächter: Sehr wenige arbeiten, die Erwerbstätigenrate liegt bei 30 bis 35 Prozent, sie ist auch bei den Töchtern nicht höher. Da hat sich über die Generation nichts getan.

STANDARD: Wie gibt's das?

Gächter: Die Betriebe nehmen sie nicht. Mir hat ein Wirt einmal erzählt, er nimmt keine Frau, die mit der Familienplanung nicht fertig ist. Bei den Türkinnen wird angenommen, dass das erst ab 45 ist. Die Menschen glauben, eine Türkin bekommt fünf Kinder. Im Schnitt sind es 2,5, bei den Jungen ist die Zweikindfamilie die Norm.

STANDARD: Viele wollen auch nicht.

Gächter: Sie trauen es sich nicht zu. Der Mann ist oft für das Außen, die Frau für das Zuhause zuständig. Draußen hat sie keine Erfahrung. Wenn sie sich trauen, haben sie wahnsinnige Schwierigkeiten, einen Job zu finden. (Andreas Sator, 7.3.2017)