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Sicherheitskräfte im Einsatz nach einem Selbstmordanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul vergangenen Mittwoch. Zweimal wöchentlich wird Kabul von solchen Angriffen erschüttert, sagt die Menschenrechtsaktivistin Horia Mosadiq.

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Flüchtlingskinder in der afghanischen Stadt Jalalabad. In Afghanistan selbst leben 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge, hinzu kommen zahlreiche Menschen, die aus dem Iran, Pakistan und Europa zurückgeschickt werden.

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Proteste gegen Abschiebungen nach Afghanistan im Februar in Berlin. Horia Mosadiq von Amnesty International fordert, dass die EU Flüchtlinge nicht nach Afghanistan zurückschickt.

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STANDARD: Seit Oktober gilt ein zwischen der EU und Afghanistan vereinbarter Deal, der die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge erleichtert. Was halten Sie von diesem Abkommen?

Mosadiq: Es ist ein sehr fragwürdiger Deal. Die EU hat die afghanische Regierung in eine schwierige Lage gebracht, da die Unterzeichnung des Abkommens an den Erhalt von Hilfsgeldern geknüpft wurde. Damit stellte sie ihre Rolle als Union, die Menschenrechte verteidigt, infrage.

STANDARD: Ist Afghanistan ein sicheres Herkunftsland?

Mosadiq: Wenn Afghanistan sicher ist, wieso leben dann die Diplomaten hinter Betonmauern? Wieso kommen sie mit Hubschraubern statt Autos zu ihren Treffen? Wieso werden sie von bewaffneten Sicherheitskräften begleitet? Wenn es für sie nicht sicher ist, ist es das auch nicht für die afghanische Bevölkerung.

STANDARD: Die deutsche Regierung argumentiert mit zum Teil sicheren Zonen in Afghanistan.

Mosadiq: Ich kann dieses Argument nicht wirklich nachvollziehen. Eine der sicheren Gegenden soll Kabul sein – ein Ort, wo wöchentlich mindestens zwei Selbstmordanschläge oder Explosionen stattfinden. Das Ziel dieser Angriffe sind meistens Zivilisten. Als sicher gilt auch die Provinz Bamyan – allerdings sind die Routen nach Bamyan unsicher und werden von den Taliban kontrolliert. Es ist außerdem eine der ärmsten Provinzen des Landes. Die Aussicht, dort Arbeit zu finden, ist sehr gering.

STANDARD: Was erwartet die Menschen, wenn sie aus Europa nach Afghanistan zurückkommen?

Mosadiq: Es gibt 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge in Afghanistan, eine halbe Million Menschen wurden aus Pakistan zurückgeschickt, mehrere tausend aus dem Iran. Diese Menschen leben am Abgrund. Sie hausen unter Plastikplanen, im Winter hat es bis zu minus zehn Grad, im Sommer mehr als 40. Sie haben keinen Zugang zu Gesundheitswesen, Bildung, Trinkwasser und Nahrungsmitteln. Viele Vertriebene, mit denen wir gesprochen haben, sagen, sie seien froh, wenn sie sich überhaupt eine Mahlzeit am Tag leisten können, denn die Hälfte ihres Geldes geben sie für Trinkwasser aus, die andere Hälfte für Heizen oder Essen.

STANDARD: Welche Auswirkungen hatte das Abkommen bisher?

Mosadiq: Es gab bereits Abschiebungen, etwa aus Deutschland und Schweden. Ein Mann erzählte mir, dass er aus Schweden abgeschoben wurde. Als er in seine Heimatprovinz zurückkam, verbreiteten sich Gerüchte, er sei in Schweden zum Spion ausgebildet worden und würde jetzt seine Gemeinde ausspionieren. Das brachte sein Leben extrem in Gefahr. Er ist daraufhin in andere Provinzen und schließlich nach Indien geflohen. Das ist eine zusätzliche Gefahr für Rückkehrende: Sobald sie zurückkommen, wird ihnen nicht mehr vertraut. Die EU sollte die Abschiebungen stoppen, man sollte warten, bis sich die Lage beruhigt hat. Wenn diesen Menschen etwas passiert, ist Europa mitschuldig, weil es sie trotz der bekannt prekären Lage zurückgeschickt hat.

STANDARD: Wie ist die Situation für Frauen, die zurückkehren?

Mosadiq: Afghanische Rückkehrerinnen sind sehr gefährdet, wenn es um Angriffe oder sexuelle Übergriffe geht – manchmal auch Ehrenmorde. Was viele sehen, ist eine Frau, die alleine nach Europa gereist ist: Man weiß nicht, was sie getan oder erlebt hat. Wenn sie alleine nach Europa gefahren ist, gilt sie nicht mehr als Frau mit gutem Charakter – und wenn sie von dort zurückgeschickt wurde, muss es einen guten Grund dafür gegeben haben.

STANDARD: Wissen die Menschen in Afghanistan, dass es schwieriger geworden ist, in Europa Asyl zu bekommen?

Mosadiq: Es gibt Kampagnen und Programme in lokalen Medien, die darauf hinweisen. Es ist den Menschen bewusster. Zugleich verlassen sie aus Verzweiflung das Land – die einzige Alternative ist für sie die Flucht.

STANDARD: Die Diskussion über afghanische Flüchtlinge dreht sich in Europa verstärkt um Kriminalität.

Mosadiq: Leider passiert das weltweit, dass es vor allem für rechte Politiker vonnutzen ist, wenn sie Angst verbreiten. Ihre Politik baut auf Angst auf – wenn es um solche Themen geht, vergessen die Menschen die anderen Probleme im Land. Auch im Iran oder in Pakistan wird die Schuld oft afghanischen Flüchtlingen gegeben. Die europäischen Länder sollten ehrlich mit ihren Bürgern umgehen und nicht nur eine bestimmte Gruppe kriminalisieren. In Österreich waren bei fast 600 Vergewaltigungsfällen nur etwa 25 Afghanen verdächtig.

STANDARD: Sind nicht konservative, manchmal auch extreme Auffassungen in den Herkunftsländern ein Grund dafür?

Mosadiq: In jeder Gesellschaft gibt es gute und schlechte Menschen, Kriminelle und jene, die sich dagegen zur Wehr setzen. Das ist nichts Spezielles für Afghanistan oder irgendein europäisches Land. Auch wenn in Österreich kein einziger Flüchtling leben würde, gäbe es Kriminalität. Zugleich ist es natürlich auch wichtig, dass den Flüchtlingen die westlichen Werte beigebracht werden, die ihre traditionellen Normen infrage stellen. Sie sollten ein besseres Verständnis und Bewusstsein für die Situation bekommen. Und die Regierung sollte mit der afghanischen Community zusammenarbeiten.

STANDARD: Im Jahr 2015 wurde in Afghanistan ein nationaler Aktionsplan für Frauen verabschiedet – gab es seither konkrete Fortschritte?

Mosadiq: Leider hat sich nicht wirklich etwas verändert, was konkrete Schritte betrifft. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist in der Regierung immer noch weit verbreitet, es gibt nicht sehr viele Frauen in Entscheidungspositionen. Zugleich hat es die Regierung verabsäumt, Menschen- und Frauenrechtsaktivistinnen, Politikerinnen und hochrangige Beamtinnen zu schützen – im Vergleich zu männlichen Ministern und Politikern ist etwa der Begleitschutz äußerst mangelhaft.

STANDARD: Wird sich das in Zukunft ändern?

Mosadiq: Das hoffe ich. Aber es wird eine sehr schwierige Aufgabe. (Noura Maan, 7.3.2017)