Mit aktuellen Unterrichtsmethoden wie Gruppenarbeit und freiem Lernen können Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) wenig anfangen. "Kinder mit ADHS haben kaum ein Planungsverhalten", sagt Andrea Schuch-Brendel, Gründerin und Leiterin von Kiprax, einer Praxisgemeinschaft und Bildungszentrum für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen. Und ergänzt: "Daher geben wir ihnen hier genau vor, was sie lernen müssen."

Vor mittlerweile zehn Jahren wurde Kiprax gegründet. "Ursprünglich war sie als therapeutische Einrichtung für ADHS, Legasthenie und Dyskalkulie gedacht", erzählt Schuch-Brendel die Gründungsgeschichte. "Doch dann waren plötzlich Kinder dabei, die aufgrund ihrer Aufmerksamkeitsstörungen aus dem Schulsystem gefallen sind, und da wurde die Idee geboren, selbst eine Schule zu gründen."

Erstmals Matura möglich

Mit einer Sekundarstufe I wurde gestartet, bald kam auch die Volksschule dazu, und heuer werden erstmals Schüler aus der Kiprax bei der Matura antreten. Extern, denn eigentlich ist Kiprax keine Schule, sondern ein Verein zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im häuslichen Unterricht.

Foto: Christian Fischer

In einer Altbauwohnung im 19. Bezirk in Wien findet dieser häusliche Unterricht täglich von neun bis 13 Uhr statt. "Die Kinder können aber schon ab acht zu uns kommen", sagt Schuch-Brendel. Drei Betreuer stehen den Kindern in der Früh zur Verfügung, damit Belastendes aufgearbeitet werden kann und nicht in den Unterricht eingebracht wird.

Vier Stunden wird in Kleingruppen von sechs bis acht Schülern unterrichtet. Turnunterricht gibt es keinen, auch keine gemeinsamen Pausen, sagt Schuch-Brendel. Pausen werden individuell gemacht. Die Kinder haben eine geringe Konzentrationsspanne, eine gewisse Unruhe in sich und ein hohes Ablenkungspotenzial, erklärt sie. "Wir haben das Lernen isoliert, um 13 Uhr ist der Unterricht zu Ende, danach kann die Zeit für Sport genutzt werden." Zu wenig Bewegung sei bei den Kindern aber ohnehin kein Thema.

Damit die Ablenkungsmöglichkeiten minimal sind, sind die Unterrichtsräume sehr kahl. Wenn Aufgaben gelöst werden, sitzen die Kinder mit Blick zur leeren Wand. Schaukelt sich doch einmal die Stimmung auf, werden die Kinder nach kurzer Zeit mit der notwendigen Strenge – die in Schulen sonst kaum mehr zu hören ist – wieder zur Ruhe gebracht.

Ständiges Feedback gehört bei den Schülern zum Lernalltag. Dabei werden die Anwesenheit, das Verhalten des Schülers und die Leistung, aber auch der Materialverbrauch angesprochen. "Denn wenn ein Schüler frustriert ist, kann schon einmal etwas zerstört werden", sagt Schuch-Brendel. Dass kein Kind wütend die Schule verlässt, sei ein wesentliches Ziel des Feedbacks.

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Im Schnitt sind die Kinder zweieinhalb Jahre bei Kiprax, danach sollte an eine öffentliche Schule gewechselt werden können. Aber nicht für jeden ist dieser Schulwechsel auch erstrebenswert, deshalb gibt es nun auch die Möglichkeit zur Vorbereitung auf die Matura. Von den 300 Kindern, die in den vergangenen Jahren von Kiprax betreut wurden, sind 150 an eine öffentliche Schule gewechselt.

Kindergarten gibt es hier keinen. "Erst mit der Struktur kommen die Aufmerksamkeitsprobleme", sagt Schuch-Brendel. Sie wünscht sich ein stärkeres Bewusstsein über den Umgang mit Aufmerksamkeitsstörungen, damit diese Kinder auch im öffentlichen Schulsystem besser gefördert werden können, und vergleicht Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen mit einem Mercedes, der auch auf der Autobahn nur mit 50 km/h unterwegs ist und einfach nicht in die Gänge kommt. "Ein kluger Verstand soll auch gefördert werden", ergänzt sie. (Gudrun Ostermann, 16.3.2017)