STANDARD: Gibt es an Hochschulen im Gegensatz zum Stammtisch eine höhere Barriere, was antisemitische Ausfälle betrifft?

Fischer: Was ich aufgrund persönlicher Erfahrung weiß: Nur weil man zu einer gehobenen Bildungsschicht gehört, heißt das noch lange nicht, dass man diskriminierungsfrei ist. Auch an Hochschulen habe ich grobe Stammtischsprüche mitbekommen oder wurde als Jude beschimpft.

Benjamin Fischer, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studierender, verortet Sicherheitsbedenken bei jüdischen Studierenden.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Wie macht sich Antisemitismus an den Universitäten bemerkbar?

Fischer: Was auf dem Campus immer wieder eine Rolle spielt, ist der Umgang mit der sogenannten "Boycott, Divestment and Sanctions"-Bewegung (BDS-Bewegung), die sich gegen den Staat Israel richtet. Diese Bewegung nimmt immer wieder gezielt jüdische Studierende ins Visier, was auch schon zu gewalttätigen Übergriffen geführt hat. Juden werden mit dem Staat Israel gleichgesetzt und umgekehrt. Die Frage, wo Israel-Kritik aufhört und Antisemitismus beginnt, ist ein schmaler Grat. In Deutschland und Österreich ist diese Bewegung im Wachsen.

STANDARD: Ab kommendem Wochenende findet in Wien die sogenannte Israeli Apartheid Week statt, die von BDS Austria organisiert wird. Welche Erfahrungen habt ihr damit?

Fischer: Da haben wir schon alles Mögliche erlebt. Immer wieder werden Mauern – quasi die "Israeli Apartheid Wall" – auf Campussen errichtet, und dann müssen jüdische Studierende darüberklettern, damit sie sozusagen sehen, wie es wäre, mit einer Mauer leben zu müssen. Das ist in vielen europäischen Städten passiert, in Großbritannien ist es ein besonders großes Problem. Es gab einen Vorfall am Kings College in London, bei dem Studierende unter Polizeischutz beim Verlassen einer Veranstaltung begleitet werden mussten. Es wurden Fenster eingeschlagen und Steine geschmissen.

STANDARD: Jüdische Schulen werden an vielen Orten in Europa von der Polizei oder dem Militär bewacht. Welche Rolle spielt das Thema Sicherheit an der Hochschule?

Fischer: Das fängt an mit geschlossenen Facebookgruppen und geht weiter bei Telefonketten vor Veranstaltungen, da Adressen nie öffentlich gemacht werden können, wenn keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden – diese Regelung geht meist von den Behörden aus. Es gibt auch Studierende, die sich extra für Sicherheitsfragen ausbilden lassen.

STANDARD: Gibt es Bedenken, die eigene jüdische Identität auf dem Campus sichtbar zu machen?

Fischer: Ich persönlich trage die Kippa nicht im Alltag. Viele meiner Freunde tragen ein Käppi darüber. Viele Leute verstecken ihre Identität, für einige ist es überhaupt kein Problem, für andere schon. Sicherheitsbedenken gibt es zu bestimmten Anlässen: Wenn zum Beispiel Israeli Apartheid Week ist, möchtest du nicht mit Kippa auf dem Campus rumlaufen. Da wird gespuckt, getreten, gerufen. Für die jüdische Community waren die Terroranschläge auf Charlie Hebdo und in Brüssel nichts Neues, Anschläge auf jüdische Ziele gab es bereits davor.

"Die waren nie unsere Freunde", sagt Benjamin Fischer, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studierender über die Neue Rechte.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Antisemitismus hat verschiedene Ausprägungsformen. Wo liegt der Unterschied zwischen links und rechts?

Fischer: Bei linkem Antisemitismus geht es vor allem um Antizionismus und den israelisch-palästinensichen Konflikt. Verschwörungstheorien sind auf beiden Seiten ein Thema. Was man aber auch sieht ist, dass die sogenannte Neue Rechte vermehrt so tut, als sei sie israelsolidarisch. Da muss man aber fragen, warum das passiert. Ich bin stolz auf die jüdische Community, die sich hier stark abgrenzt. Denn man weiß: Das ist der Wolf im Schafspelz. Die waren nie unsere Freunde und werden es auch nie sein. Die jüdische Studierendenunion in Frankreich hat zum Beispiel aktiv gegen Marine Le Pen kampagnisiert.

STANDARD: Die Europäische Union jüdischer Studierender sieht sich als politische und soziale Interessenvertreterin. Was bedeutet das?

Fischer: Wenn wir uns für jüdische Rechte einsetzen, dann soll das immer aus einem globalen Verständnis heraus passieren: Menschenrechte sind jüdische Rechte und umgekehrt. Wenn wir also etwa beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen über Antisemitismus in Europa sprechen, ist es für uns selbstverständlich, uns an dieser Stelle auch für andere Minderheiten starkzumachen. Auch wollen wir in die jüdische Community wirken: Das Fundament der jüdischen Identität sollte sich nicht ausschließlich über Antisemitismus, den Nahostkonflikt oder das Gedenken an die Shoah speisen. Egal, wie brisant die Zeiten sind: Es ist wichtig, dass in der Community ein normales Leben stattfinden kann. (Vanessa Gaigg, 14.3.2017)