Das Kopftuch als Symbol für konservative Religionsauslegung, Rückständigkeit, Benachteiligung: Jede Zuspitzung des Themas geht letztlich auf Kosten von Frauen.

Foto: APA / Gindl

Es ist immer wieder erstaunlich, wie fixiert man sein kann – besonders wenn es um gesellschaftspolitische Debatten geht, ganz besonders, wenn es um das muslimische Kopftuch geht. Integrationsprobleme, türkischer Nationalismus, religiöse Radikalisierung – es gibt praktisch kein schwieriges Thema in dem Zusammenhang, das nicht über die Frage verhandelt wird, was frau um den Kopf gebunden hat.

Den jüngsten diesbezüglichen Unfug hat nun die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) geliefert: Es gibt eine Fatwa, die das Tragen des Kopftuchs für Frauen ab der Pubertät zum religiösen Gebot erklärt. Der hauseigene Mufti, der dies unter Berufung auf jahrhundertealte "Quellen" getan hat, zählt – no na – nicht gerade zu den fortschrittlichen Vertretern seines Faches, mehr noch, er steht. Das Gebot ist so unnötig wie die Debatte über ein Verbot aufseiten der Politik. Beides sind letztlich männliche, politisch motivierte Profilierungsversuche, deren Auswirkungen ausschließlich Frauen zu tragen haben.

Zuspitzen statt beruhigen

Man fragt sich: Was soll diese Zuspitzung bringen? Ist die Kopftuch-Fatwa nun ein Revanchefoul am Regierungsprogramm, das – ebenso unnötig wie zuspitzend – ein Verschleierungsverbot beinhaltet? Oder ist es gar der Versuch, den aktuellen Konflikt zwischen Österreich und der Türkei um Wahlkampfauftritte für Erdoğans Verfassungsreferendum noch weiter zu befeuern? Abwegig ist das nicht: Immerhin steht Mufti Mullaoglu der türkisch-nationalistischen Millî-Görüş-Bewegung nahe, die meint, es könne nur eine Ordnung auf der Welt geben, nämlich jene, die sich an islamischen Grundsätzen orientiert. Und diese gibt Erdoğans AKP ja vor einzuhalten.

Der Frauensprecherin der Glaubensgemeinschaft, Carla Amina Baghajati, ist daher ohne Einschränkung zuzustimmen, wenn sie das Kopftuchgebot für "problematisch" hält – und obendrein moniert, die Deutungshoheit darüber, was man anziehe oder auch nicht, müsse jede Frau für sich selbst beanspruchen. Es ist zu hoffen, dass Baghajati mit ihrer Kritik und ihrem Widerstand nicht allein bleibt – dass sich viele muslimische Frauen anschließen und dem offenbar ultrakonservativen IGGÖ-Präsidenten Ibrahim Olgun seine Grenzen aufzeigen. Keine Frau in Österreich, egal welcher Glaubensgemeinschaft sie nun angehört, muss sich im 21. Jahrhundert derartige Bevormundung gefallen lassen.

Themenverfehlung

Für Olgun gäbe es genügend andere Betätigungsfelder. Da ist etwa die Tatsache, auch wieder einmal zum Frauentag publik gemacht, dass die Erwerbsquote von Migrantinnen viel zu niedrig ist, nämlich bei 57 Prozent, und dass mehr als die Hälfte der türkischen Migrantinnen nicht arbeiten. Sie werden auch häufiger arbeitslos und fühlen sich in den Jobs, die sie ausüben (dürfen), überqualifiziert – was bei ihrem ständig steigenden Bildungsniveau nicht weiter verwundert. Da viele Migrantinnen Musliminnen sind, sollte man meinen, das ginge den Präsidenten der Glaubensgemeinschaft etwas an.

Das zweite ist das offenbar bisher ungehörte Rufen der Frauenbeauftragten Baghajati nach einer Fatwa gegen Gewalt an Frauen. Dass es zu manch "traditionellem" Familienbild auch gehört, dass Väter ihre Töchter und Männer ihre Ehefrauen schlagen, ist bekannt. Bekannt ist auch, dass der Staat, der seine Möglichkeiten hier bereits stark verbessert hat, erst dann eingreifen kann, wenn die Frau die Misshandlung anzeigt – oder so schwer verletzt ist, dass sie ärztlich behandelt werden muss. Dass umso weniger angezeigt wird, je stärker Frauen wirtschaftlich abhängig sind, ist fast schon eine Binsenweisheit. Insofern hängt das eine Problem mit dem anderen zusammen.

Darum sollte sich eine verantwortungsvolle Religionsgemeinschaft bemühen – statt einen unrühmlichen Beitrag dazu zu leisten, dass sich ohnehin vorhandene Gräben in der Gesellschaft noch vertiefen. (Petra Stuiber, 10.3.2017)