In Österreich leben rund 285.000 Personen mit türkischem Hintergrund (entweder selbst oder die Eltern im Ausland geboren, etwa 115.000 davon sind türkische Staatsbürger).

Allein aus diesem Grund ist es an der Zeit, in dem Getöse zwischen "Kein Wahlkampfauftritt für Erdogan" und "Verpiss dich, Kanzler" (ein Erdoğan-Berater) eine Frage zu stellen:

Wie schaffen wir es, zu den hunderttausenden türkischstämmigen Österreichern und den türkischen Staatsbürgern hierzulande ein halbwegs vernünftiges Verhältnis herzustellen?

Die fast 300.000 Menschen mit türkischem Hintergrund werden hier bleiben. Das ist ein Faktum. Mit diesen Menschen in einer Art Krieg zu leben, ist sinnlos und gefährlich. Noch gefährlicher sind Anlassgesetze, wie sie Innenminister Sobotka und wohl auch Außenminister Kurz jetzt überlegen.

Das heißt nicht, dass man gegenüber Teilen der türkischen Community hierzulande nicht eine klare Sprache sprechen muss: Es gibt Probleme, und die müssen wir angehen.

Das Kernproblem ist, dass man in der Türkei, vor allem in der Umgebung Erdoğans, offenbar der Meinung ist: "Einmal Türke, immer Türke". Die türkische Diaspora in Europa wird offenbar als ein Instrument betrachtet. Generell für Erdoğans nationalistische Träume, ganz konkret für das Referendum am 16. April. Erdoğan hat für diese Wende ins Diktatorische offenbar keine Mehrheit. Wenn das Referendum gegen ihn ausgeht, gerät er in Gefahr zu stürzen. Die Auslandstürken sollen ihm die Mehrheit bringen.

In der türkischen Community in Deutschland und Österreich ist der Erdoğan-Nationalismus stärker geworden, und Erdoğan hat sich Strukturen dafür geschaffen. Die UETD (Union europäisch-türkischer Demokraten) ist eine einflussreiche Speerspitze, die blitzartige Demos mit türkischen Fahnenmeeren organisieren kann und deren Vertreter ultranationalistisches Zeug von sich geben. Der größte Moscheeverein Atib ist fest in Erdoğan-Hand (ebenso wie in Deutschland Ditib). Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich wird ebenfalls türkisch beherrscht.

Wie tief das in der Community selbst geht, ist nicht ganz klar. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 gingen von rund 90.000 Wahlberechtigten in Österreich nur neun Prozent zur Wahl. Die allerdings ganz mehrheitlich für Erdoğan. Bei den Parlamentswahlen 2015 war die Wahlbeteiligung, rund 35 Prozent, auch nicht gerade berauschend. Man könnte also von einer gewissen Distanz der Auslandstürken sprechen, vor allem wenn man einrechnet, dass die Kurden und Aleviten, die hierzulande auch unter "Türken" laufen, ganz bestimmt nicht Erdoğan-Freunde sind.

Einerseits straff organisierte Jubeltürken – andererseits ein nicht geringer Teil der türkischen Staatsbürger in Österreich, der offenbar die Einmischung Erdoğans nicht hundertprozentig unterstützt. Dazu noch die Türkischstämmigen, die bereits österreichische Staatsbürger sind. Um sie sollte sich die Politik langsam etwas intensiver kümmern – und nicht nur mit drohenden Ansagen. (Hans Rauscher, 7.3.2017)