Der türkische Präsident Erdoğan 2014 auf Besuch in Wien. Über 12.000 Menschen besuchten seinen als "Privatbesuch" titulierten Auftritt, rund 8.000 demonstrierten dagegen.

Foto: STANDARD/Fischer

Eines steht fest: Egal, ob es im Versammlungsrecht eine "Lex Erdoğan" geben wird oder nicht – auf die Propaganda für das Türkei-Referendum wird ein solcher Passus jedenfalls keinen Einfluss haben. Die Volksabstimmung, von der sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan mehr Macht erhofft, findet nämlich am 16. April statt – der Beschluss des Gesetzes, mit dem Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Wahlkampfauftritten ausländischer Politiker nun den Riegel vorschieben will, wird jedoch erst kurz vor dem Sommer stattfinden können.

Sobotka hat es eilig

Sobotka sieht trotzdem Bedarf, seinem im Februar vorgelegten Entwurf noch schnell eine neue Bestimmung beizufügen, um ausländische Parteipropaganda in Österreich eindämmen zu können.

Sobotka schwebt Folgendes vor: Der Innenminister soll – mit Zustimmung der Bundesregierung und im Einvernehmen mit dem Außenminister – die Teilnahme ausländischer Politiker an Wahlveranstaltungen für ausländische Parteien untersagen können. Und zwar dann, wenn es "um Inhalte geht, die der Europäischen Menschenrechtskonvention widersprechen", so Sobotka vor dem Ministerrat am Dienstag. Was damit gemeint sein könnte? "Da reicht ein Blick ins Programm der AKP, da finden sie sofort acht oder neun Punkte", meinte Sobotkas Sprecherin. Genaues sage man aber erst, wenn die Juristen den Passus ausformuliert haben.

Noch am Dienstag wollte Sobotka der SPÖ die ergänzende Bestimmung vorlegen. In "zwei bis drei Wochen" könne man den Entwurf dann in Begutachtung schicken, glaubt Sobotka.

Paradox ist, dass eben jener Passus, der laut Sobotka dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dienen soll, selbst menschenrechtswidrig sein könnte. Die EMRK sichert nämlich allen Menschen zu, in ihrer Versammlungsfreiheit nicht eingeschränkt zu werden – unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Sollte ein Staat in dieses Recht eingreifen wollen, so müsse er dies jeweils im Einzelfall prüfen. Mit einem pauschalen Auftrittsverbot ausländischer Politiker bestimmter Parteien sei das nur schwer vereinbar, meinte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk in einem Ö1-Interview am Dienstag.

Kurz ist "froh"

Die übrigen ÖVP-Regierungsmitglieder hat der Innenminister jedenfalls auf seiner Seite. Er sei "froh" über Sobotkas Vorschlag, sagt Außenminister Sebastian Kurz. Dass Österreichs Vorstoß einer Drohung gegenüber der Türkei gleichkomme, weist Kurz zurück: Österreich habe der Türkei "klar kommuniziert", dass man einen türkischen Wahlkampf auf österreichischem Boden nicht toleriere. Nun erwarte man, dass die Türkei dies akzeptiert. Sei das nicht der Fall, dann werde man eben Verbote brauchen.

In der SPÖ heißt es, man unterstütze das Anliegen grundsätzlich. Wahlwerbung ausländischer Politiker im Inland sei "absolut inakzeptabel", sagt Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) nach dem Ministerrat: "Wenn es derzeit keine gesetzliche Handhabe gibt, dann ist im Versammlungsgesetz dafür Vorsorge zu treffen." Eine Formulierung, die vieles offenlässt. Denn bereits die geltende Rechtslage ermöglicht es den Behörden, Versammlungen im Vorhinein zu untersagen. Befürchten die Behörden beispielsweise strafbare Handlungen, und dazu zählt auch die Verhetzung von Minderheiten, dann kann eine Versammlung im Vorfeld untersagt oder eine laufende Kundgebung aufgelöst werden. Es muss dafür allerdings konkrete Anhaltspunkte geben.

"Vorschlag nützt Erdoğan"

Dass eine "Lex Erdoğan" kontraproduktiv wäre, also dem türkischen Präsidenten sogar nützen könnte, hält Politologe Cengiz Günay für "sehr wahrscheinlich", da es Erdoğan in eine Opferrolle versetze – zumal derzeit gar kein Auftritt in Österreich geplant sei. Günay hält es für auffällig, wie viel die Bundesregierung über die Türkei spreche, während sie mit anderen autoritären Regimes wie Russland "sehr weich" umgehe. "Es geht wohl darum, über die Türkeifrage das Ausländerthema zu besetzen", glaubt Günay. Das sei populistisch. Und die "Vermischung von Außenpolitik und Innenpolitik" drohe die Glaubwürdigkeit Österreichs in der EU zu untergraben – während der kurzfristige Nutzen also fragwürdig sei, sei der Schaden möglicherweise von längerer Dauer. (Maria Sterkl, 8.3.2017)