Wien – Wer nicht hierbleiben darf, soll möglichst bald ins Herkunftsland zurück – diese Botschaft verkündet die Bundesregierung gern und oft. Die Koalition will bei Rückführungen mehr Härte zeigen. Kritiker meinen, dass das nicht so leicht geht, weil viele abgelehnte Asylwerber gar nicht abgeschoben werden können. Wer hat recht – und um wie viele Menschen geht es eigentlich?

Vorab eine Richtigstellung: Wenn Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) verkündet, Österreich sei mit 10.677 Abschiebungen "führend" in Europa, dann sagt er nicht die Wahrheit. Das Ministerium rechnet nämlich auch die 5.797 freiwilligen Ausreisen hinein, die mehr als die Hälfte ausmachen. Und bei 2.582 Außerlandesbringungen handelt es sich gar um Überstellungen in ein anderes EU-Land, bevor das Asylverfahren eröffnet wurde – es handelt sich also gar nicht um abgelehnte Asylwerber, sondern um Menschen, die möglicherweise ein Recht auf Schutz und Bleiberecht in der EU haben. Übrig bleiben also nur 2.298 echte Abschiebungen.

Verbleib unbekannt

Wie viele Menschen sind aber trotz Ausreiseverpflichtung im Land? "Das wissen wir nicht", heißt es im Innenministerium. Somit lässt sich die Zahl nur annäherungsweise berechnen – etwa indem man vergleicht, wie viele Personen in einem Jahr kein Bleiberecht bekamen und wie viele Personen im selben Zeitraum das Land verlassen haben. Der Rechnungshof kommt auf diese Weise allein im Zeitraum 2010 bis 2014 auf 39.370 Menschen, über deren weiteres Schicksal nichts bekannt ist: Ob sie in ein anderes EU-Land weitergereist oder untergetaucht sind, weiß niemand.

Im Jahr 2016 gab es in 25.487 Fällen eine rechtskräftig negative Entscheidung. Im selben Zeitraum reisten 7.110 Personen freiwillig oder unfreiwillig aus – das ergibt eine Differenz von 18.377 Fällen, über deren Verbleib man nichts weiß. Wobei die Zahl nur bedingt aussagekräftig ist, da die Summe der Rückkehrer auch Personen umfasst, die im Jahr davor ihren Ablehnungsbescheid erhalten haben, und einige der im Vorjahr abgelehnten Personen möglicherweise heuer das Land verlassen.

Viele Afghanen

Bei jenen rund 75.000 Asylverfahren, die derzeit anhängig sind, dominieren die Afghanen. 40 Prozent der offenen Verfahren in erster und zweiter Instanz betreffen afghanische Staatsbürger. Rund ein Viertel erhält Asylschutz, ein weiteres knappes Viertel subsidiären Schutz. Im Vorjahr erhielten 39 Prozent der afghanischen Asylwerber einen rechtskräftig negativen Asylbescheid.

Asylwerber-Unterkunft in Wien. Knapp vierzig Prozent der afghanischen Asylsuchenden wird kein Bleiberecht gewährt.
Foto: standard/corn

Wenn die Bundesregierung nun gelobt, verstärkt auf Rückführungen zu setzen, dann meint sie damit vor allem die freiwillige Rückkehr, denn Abschiebungen nach Afghanistan sind derzeit gar nicht möglich. Viele Asylwerber haben keinen Identitätsnachweis, können also nicht ins Herkunftsland einreisen. Zwar können die österreichischen Behörden einen sogenannten Passierschein ausstellen, wenn sie sicher sind, dass die afghanischen Behörden dieses Dokument für die Einreise akzeptieren. Das ist aber oft nicht der Fall – nicht erst einmal kam es vor, dass ein Abgeschobener mit dem nächsten Flugzeug wieder mit nach Österreich genommen wurde, weil in Kabul die Einreise verweigert wurde.

Um dieses Risiko zu minimieren, lassen sich die Behörden daher von der jeweiligen Botschaft ein sogenanntes Heimreisezertifikat ausstellen. Und genau hier scheitert es im Fall der Abschiebungen von Afghanen und Irakern, der zweitgrößten Asylwerbergruppe. Sie erhalten laut Innenministerium "nur in Einzelfällen" Heimreisezertifikate. Für die freiwillige Rückkehr stellen die Botschaften aber sehr wohl Zertifikate aus. Ein Grund: Während freiwillige Rückkehrer meist noch Verbindungen im Herkunftsland haben, ist das bei Abgeschobenen oft nicht der Fall, und Spekulationen, dass es sich um Spione oder Terroristen handeln könnte, tragen zur Destabilisierung bei.

Berlin versucht es

Warum aber kann Deutschland nach Afghanistan abschieben, Österreich hingegen nicht? Die Bundesrepublik stütze sich auf ein bilaterales Abkommen mit Afghanistan, heißt es im deutschen Innenministerium auf STANDARD-Anfrage. Laut diesem Abkommen muss Afghanistan abgeschobene Staatsbürger auch ohne Zertifikat einreisen lassen – und zwar dann, wenn die afghanische Botschaft in Berlin trotz ausreichender Dokumentation länger als vier Monate braucht, um ein Heimreisezertifikat auszustellen. In solchen Fällen reicht ein Passierschein der deutschen Behörden. Seit Oktober 2016 seien auf dieser Basis 77 Personen in die Islamische Republik abgeschoben worden, was angesichts der sich verschlechternden Situation in der Region für Kritik sorgt.

Demonstration gegen Abschiebungen nach Afghanistan, Stuttgart, 22. Februar 2017.
Foto: apa/dpa/lino mirgeler

Aber auch in Deutschland ist die überwiegende Mehrheit der Afghanen gar nicht abschiebbar, da die Identität nicht geklärt ist oder es sich um vulnerable Gruppen handelt: Ende Jänner waren insgesamt 12.581 Afghanen ausreisepflichtig, davon hatten 10.448 eine vorübergehende Duldung, heißt es beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf STANDARD-Anfrage.

In Österreich sind derzeit nur 250 Personen geduldet, können also nicht hierbleiben, aber zumindest vorübergehend auch nicht zurückkehren, und erhalten deshalb Unterstützung vom Staat.

Rekord bei freiwilliger Rückkehr

Im Vorjahr gab es bei der freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland übrigens einen Rekord. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterstützt die Betroffenen beim Kauf der Flugtickets, in den meisten Fällen bekommen sie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl außerdem ein Taschengeld, manche erhalten zusätzlich Unterstützung bei einer Unternehmensgründung, wobei die Nachfrage nach diesem Reintegrationsprogramm das Kontingent an freien Plätzen deutlich übersteige, heißt es beim IOM.

Wer glaubt, dass es sich bei den Rückkehrenden vor allem um Menschen handelt, die keine Aussicht auf Bleiberecht in Österreich haben, irrt: Viele der Rückkehrenden befinden sich noch im laufenden Verfahren, heißt es bei der Caritas, die im Auftrag des Innenministeriums Rückkehrberatungen durchführt. Manche von ihnen entscheiden sich für eine Rückkehr, weil das Asylverfahren zu lange dauert. Oft habe eine Rückkehr aber auch familiäre Gründe, erklärt Caritas-Expertin Nina Szogs: "In den meisten Fällen werden die Betroffenen zu Hause gebraucht oder müssen zurück, weil ein Familienmitglied erkrankt ist." Einige Rückkehrende hatten in Österreich sogar Asylschutz. (Maria Sterkl, 9.3.2017)