Derzeit ist in Österreich die tägliche Arbeitszeit regulär auf zehn Stunden beschränkt. Allerdings gibt es auch jetzt schon zahlreiche Möglichkeiten, in Ausnahmefällen auf zwölf Stunden zu gehen.

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Christoph Klein, Direktor der Arbeiterkammer Wien: "Die EU-Richtlinie zur Arbeitszeit sieht einen untersten Mindeststandard vor. Solche Richtlinien dürfen nicht dazu führen, dass die nationalen Standards nach unten gesenkt werden."

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Katharina Körber-Risak, Partnerin bei Kunz Schima Wallentin: "Viele Betriebe haben große Schwankungen. Warum man sich gegen eine ungleiche Aufteilung übers Jahr so wehrt, verstehe ich nicht."

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Rolf Gleißner, stellvertrender Leiter Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich: "Wenn durch den Mindestlohn für die Wirtschaft mehr Kosten entstehen, dann muss es Entlastungen bei der Arbeitszeit geben."

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Kurt Wratzfeld, Partner bei Fellner, Wratzfeld & Partner: "Denken Sie an Charlie Chaplins ,Modern Times': Das ist der Arbeitszeitbegriff, der dem Gesetz vorschwebt."

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Die Uhr tickt bei der Arbeitszeit: Bis zum 30. Juni hat die Regierung den Sozialpartnern Zeit gegeben, sich auf eine Neuregelung der komplexen Materie zu einigen. Doch die Zeit könnte knapp werden, denn bei diesem Thema geht es nicht nur um ein Gesetz, sondern auch um die Zukunft der Arbeitswelt, die Machtbalance zwischen Arbeitgebern und -nehmern – und um ziemlich viel Geld.

Derzeit ist in Österreich die tägliche Arbeitszeit regulär auf zehn Stunden beschränkt. Allerdings gibt es auch jetzt schon zahlreiche Möglichkeiten, in Ausnahmefällen auf zwölf Stunden zu gehen. Diese sind im Gesetz, in den Kollektivverträgen oder in Betriebsvereinbarungen verankert – oder können dort, wo es keinen Betriebsrat gibt, auch einzeln mit Dienstnehmern vereinbart werden.

Für die Arbeitnehmerseite und zahlreiche Arbeitsrechtsexperten ist diese Komplexität ein ständiges Ärgernis, das nach Vereinfachung schreit. Ihnen geht es nicht darum, dass mehr gearbeitet wird, sondern dass die Arbeitszeit besser aufgeteilt werden kann, sagt Katharina Körber-Risak, Arbeitsrechtlerin in der Kanzlei Kunz Schima Wallentin. "Viele Betriebe haben große Schwankungen. Warum man sich gegen eine ungleiche Aufteilung übers Jahr so wehrt, verstehe ich nicht."

Durchlöchertes System

Für Gewerkschaft und Arbeiterkammer ist das System bereits jetzt zu sehr durchlöchert. "Das Arbeitszeitgesetz ist als Schutzgesetz gebaut", sagt Christoph Klein, Direktor der AK Wien. "Wenn man die Grenzen von dem, was erlaubt ist, aufweicht, dann geht Schutz verloren." Die Forderung vieler Arbeitgeber, die EU-Bestimmungen zu übernehmen, die 13 Stunden Tagesarbeitszeit und 48 Stunden Wochenarbeitszeit vorsehen, weist er zurück: "Die EU-Richtlinie sieht einen untersten Mindeststandard vor. Solche Richtlinien dürfen nicht dazu führen, dass die nationalen Standards nach unten gesenkt werden."

Sein Verhandlungspartner in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Rolf Gleißner, verweist auf andere EU-Staaten mit starken Sozialsystemen, die ohne nationale Höchstgrenzen auskommen – etwa Schweden und Finnland -, oder auch auf Deutschland, wo das Gesetz den Kollektivvertragspartnern mehr Spielraum lasse. "Unser Gesetz hat viermal so viele Wörter wie das deutsche", sagt der Sozialrechtsexperte. Das ganze System sei in Österreich voller Inkonsistenzen; so habe die Arbeitszeit von Beamten überhaupt keine Wochenbeschränkung.

Bürokratisches Labyrinth

Wer in der Privatwirtschaft die Arbeitszeit vorübergehend verlängern will – etwa in der Produktion bei unerwartet großen Aufträgen, in einem Gasthaus bei einer großen Hochzeit, in der Buchhaltung vor dem Jahresabschluss oder in einem Architekturbüro kurz vor Abgabe der Pläne –, muss durch ein bürokratisches Labyrinth. Möglich ist es bis zu 24 Wochen im Jahr, muss aber mit dem Betriebsrat vereinbart und von einem Arbeitsmediziner für unbedenklich erklärt werden.

Von Branche zu Branche gibt es unterschiedliche Regelungen, die gerade für kleine Betriebe schwer zu durchschauen sind. "Es ist fast eine Wissenschaft", sagt Arbeitsrechtler Kurt Wratzfeld von der Kanzlei Fellner, Wratzfeld und Partner. "Und wenn man sich irrt, entstehen durch das Kumulationsprinzip gewaltig hohe Strafen, die für einen Kleinunternehmer existenzbedrohend sein können." Vor allem in Betrieben mit viel Außendienst gebe es ständig Probleme.

In der Praxis würden Arbeitszeiten, die über zehn Stunden hinausgehen, in vielen Betrieben erst gar nicht aufgezeichnet werden, etwa weil das elektronische System es nicht zulässt. "Ich rate von einer Fälschung der Aufzeichnungen entschieden ab", sagt Körber-Risak. "Das kann ein strafbares Delikt sein, wenn man eine Behörde täuscht." Große Unternehmen würden mithilfe von kooperativen Betriebsräten Lösungen finden, aber "die kleinen können das nicht stemmen, die werden kriminalisiert".

Folge der Komplexität

AK-Direktor Klein betont, dass "das breite Angebot an flexiblen Modellen oft zu wenig genutzt wird", und verweist dabei auf eine Studie des Forschungsinstituts Forba, wonach nur die Hälfte der Betriebe die Möglichkeiten ausschöpft. Das sei wohl auch eine Folge der Komplexität, räumt er ein. "Eine Vereinfachung wäre eine schöne Sache. Aber die Vielfalt beruht auch auf der Vielfalt der Arbeitsplätze und der Arbeitszeiten."

Er warnt auch davor, die Regelung von Arbeitszeiten von der KV- auf die Betriebsebene zu verschieben, "Dann könnte ein Betriebsrat, der nachgibt, die ganze Branche zum Kippen bringen. Der harte Verhandlungspartner Gewerkschaft sorgt hingegen für einheitliche Wettbewerbsverhältnisse."

Das sieht auch Wratzfeld so: "Der Betriebsrat ist in einer schwächeren Verhandlungsposition, wenn es darum geht, Arbeitszeiten zu regeln." Die jetzigen Gesetze seien allerdings eher für Industriebetriebe geeignet als für moderne Dienstleister, sagt Wratzfeld. "Denken Sie an Charlie Chaplins ,Modern Times': Das ist der Arbeitszeitbegriff, der dem Gesetz vorschwebt."

Populäre Gleitzeit

Ein Bereich, in dem Arbeitszeiten besser funktionieren, sind Gleitzeitmodelle, die immer beliebter werden. Arbeitszeiten zu verlängern, um größere Freizeitblöcke zu erhalten, sei im Interesse vieler Arbeitnehmer, sagt WKÖ-Experte Gleißner. Bei der Gleitzeit hat auch Kanzler Christian Kern in seiner "Plan A"-Rede eine Ausweitung der Arbeitszeitgrenze auf zwölf Stunden in Aussicht gestellt.

Körber-Risak sieht hier allerdings ein Problem: Bei der Gleitzeit könnten Arbeitnehmer selbst über ihre Arbeitszeit entscheiden, was meist nur für besser Qualifizierte praktikabel sei. "Wenn man nur die Gleitzeit ausweitet, wird sich nicht viel ändern", warnt sie. Gleißner weist ebenfalls darauf hin, dass etwa ein Handels- oder Produktionsbetrieb keine Gleitzeit zulassen könne. Dort seien feste Dienstpläne notwendig.

In der Praxis würden sich auch in der Gleitzeit Arbeitnehmer als Erstes nach den Bedürfnissen des Betriebs richten, weist Klein diese Sorge zurück. Und eine allgemeine Flexibilisierung dürfe nicht zum Arbeiten auf Abruf führen, sagt Klein. "Wenn wir ins Gesetz schreiben, dass zwölf Stunden jederzeit zulässig sind, dann wird das viele Menschen unter Druck bringen, Arbeitszeiten zu leben, die sie nicht wirklich wollen."

Überstunden als Lohnbestandteil

Dennoch: Ginge es nur um Flexibilisierung, dann wäre eine Einigung einfacher. Doch die Wirtschaft kämpft auch um eine Senkung der Kosten bei den so teuren Überstunden mit ihren Zuschlägen von 50 Prozent. Sie will die Möglichkeit, über Zeitkonten Überstunden später in Freizeit abzugelten – und das möglichst eins zu eins. Derzeit geht das nur mit einem heftigen Freizeitzuschlag.

Hier eine Entlastung zu verlangen sei legitim, sagt Gleißner, denn schließlich werde auch über die Einführung eines Mindestlohns verhandelt. "Wenn für die Wirtschaft hier mehr Kosten entstehen, dann muss es Entlastungen bei der Arbeitszeit geben", sagt er. Und schließlich gehe es auch um die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die ebenso im Interesse der Arbeitnehmer liege.

Auch Körber-Risak glaubt, dass in Österreich zu viele Überstunden geleistet werden und diese oft als normaler Lohnbestandteil betrachtet werden. "Das war nie die Intention von Überstunden, aber sie sind zu einem Substitut für eine zu niedrige Entgeltpolitik geworden."

Lange Durchrechnungszeiten

Doch bei einem Tauschgeschäft eines höheren Mindestlohns gegen eine Reduzierung von Überstundenzuschlägen würden Durchschnitts- und Besserverdiener verlieren, warnt Klein. "Ich verstehe, dass die Betriebe gern die Kosten des Überstundenzuschlags sparen würden. Aber diese Kosten spiegeln sich jetzt im Lohnniveau wider. Wenn man darauf verzichtet, gibt es mit einem Schlag eine Umverteilung in Richtung Wirtschaft." Zwölfstundentage, die mit dem Zuschlag sechs Stunden Zeitausgleich bringen, sind gesetzlich schon jetzt möglich.

In manchen Branchen sind bereits Zuschläge von nur 25 Prozent oder – etwa in der Metallindustrie – sehr lange Durchrechnungszeiten für Zeitausgleich vorgesehen. Ob das ein Modell für die ganze Wirtschaft werden kann, ist unklar, denn bei den Metallern konnten die Arbeitgeber dank der hohen Wertschöpfung bei den Arbeitszeiten mehr entgegenkommen. Andere Branchen befürchten dadurch steigende Kosten.

Für Klein wäre das dennoch der beste Weg. "Über mehr Flexibilität bei gleichzeitiger Verkürzung sind wir immer gesprächsbereit. Doch die Wirtschaft sagt stets radikaler Nein zu einer Arbeitszeitverkürzung als wir zur Flexibilisierung." (Eric Frey, Wirtschaft & Recht Journal, 9.3.2017)