Wie gelingt es Pilzen, Holz zu zersetzen? Die Enzymklasse mit der Kurzbezeichnung LPMO ist offenbar dafür verantwortlich.

Foto: Joachim Kracher

Wien – Das Ausmaß der Schäden lässt sich sofort erahnen. Im unteren Bereich überzieht ein weißer Belag den Balken, weiter oben durchziehen Risse seine Oberfläche. Ein muffiger Geruch steigt in die Nase. Das Holz ist nicht mehr tragfähig. Fäule hat ihm zugesetzt, mit einem Meißel lassen sich leicht ganze Brocken herausreißen. Für Altbaubesitzer ist dieses Szenario ein Albtraum, und leider ist es gar nicht so selten. Fäulepilze greifen Holzkonstruktionen an, sobald sie dazu Gelegenheit bekommen. Oft reicht schon eine gewisse Feuchtigkeit aus.

Die Zerstörung an sich ist ein atemberaubend komplexer Prozess. Holz besteht schließlich nicht aus leicht zersetzbaren Fetten und Proteinen wie etwa Käse. Stattdessen ist es aus langen, verflochtenen Zelluloseketten und verzweigtem Lignin aufgebaut. Seine Struktur zu knacken, fällt auch Mikroben nicht leicht. Andere Geschöpfe wie Termiten können Holz nur mithilfe spezialisierter Bakterien in ihrem Darmtrakt verdauen (u. a. "Nature Reviews Microbiology", Bd. 12, S. 168). Sonst müssten die Krabbler hungern.

Die Meister in Sachen Holzzerlegung sind Pilze. Ihr Ursprung mag im Meer liegen, aber den großen Evolutionserfolg erreichten sie erst, als sie an Land gingen. "Pilze haben ihren Siegeszug zusammen mit den Pflanzen angetreten", sagt der Biochemiker Roland Ludwig von der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien. Mit der Entstehung von immer größeren Gewächsen boten sich Schimmel & Co eine ebenfalls wachsende Nahrungsquelle. Die Pflanzen ließen sich nicht wehrlos auffressen. Das Grün entwickelte neue, pilzresistente Baustoffe wie Hemizellulose und Lignin. Vor allem Letzteres erwies sich als Glücksgriff. Mit seiner robusten, netzartigen Struktur konnte es den Verdauungsenzymen der Pilze lange widerstehen.

Die ersten Wälder

Dank Lignin wuchsen bald die ersten primitiven Bäume und Wälder. Aus deren Überresten bildeten sich während des Karbon-Zeitalters Steinkohleablagerungen. Die Pilze blieben allerdings auch nicht untätig. Irgendwann gelang es einigen von ihnen, Lignin-zersetzende Enzyme zu produzieren. Molekularbiologischen Analysen zufolge dürfte dies gegen Ende des Karbons vor etwa 295 Millionen Jahren passiert sein ("Science", Bd. 336, S.1715). Just zu jener Zeit setzte auch ein rapider Rückgang der Steinkohlebildung ein. Die Pilze, so wird vermutet, fraßen ab da das meiste Holz, bevor es unter die Erde geriet.

Trotz dieser Einblicke hat die biochemische Verdauung von Holz der Forschung viele Fragen aufgeworfen. Lange kannte man lediglich die sogenannten Hydrolasen. Diese Enzyme zerlegen Polysaccharidketten wie Zellulose in kleinere Fragmente, aus denen die Pilze letztlich Glucose gewinnen. Hydrolasen sind jedoch nur eingeschränkt einsatzfähig. "Die müssen streng linear arbeiten", sagt Ludwig. Das heißt: Sie können nur am Ende einer Kette ansetzen und von dort aus immer wieder einzelne Stücke abspalten. In einem dicht gepackten Fasergeflecht fehlen den Hydrolasen schlicht die Angriffspunkte. Wie also gelingt es den Pilzen, diese Gerüste aufzubrechen?

Des Rätsels Lösung ist eine zweite Enzymklasse mit der Kurzbezeichnung LPMO. "Man hat sie zuerst in Bakterien entdeckt", so Ludwig. Die bakteriellen LPMO dienen zur Zersetzung von Chitin, einem weiteren Polysaccharid-Baustoff, der unter anderem Hauptbestandteil von Insektenpanzern ist. Der erste Nachweis von LPMO 2010 faszinierte die Fachwelt. Bald spürten Wissenschafter weitere Varianten dieser Enzyme bei Pilzen auf. Man stellte fest, dass sie offenbar für die Holzverdauung zuständig sind.

Praktische Anwendungen

Ludwig und Kollegen sind inzwischen dem Wirkungsmechanismus auf die Spur gekommen. Die LPMO-Moleküle können an beliebiger Position auf einer Holzfaser aufsetzen, um dort wie ein Bolzenschneider einzelne Polysaccharidketten zu durchtrennen ("Science", Bd. 352, S. 1098).

Die Anzahl der verschiedenen LPMO geht wohl in die Tausende. Vermutlich ist der Reichtum eine evolutionäre Anpassung an unterschiedliche Lebensbedingungen. Einige Pilzarten verfügen gar über rund 70 Varianten, so Ludwig. Die Erforschung der LPMO-Vielfalt hat auch praxisorientierte Seiten, wie der Biochemiker erläutert. Solche Möglichkeiten möchten er und sein Team im Rahmen des neuen Projekts Oxidise erschließen. Finanziert wird das Vorhaben vom Europäischen Forschungsrat ERC. Ein Vorgängerprojekt wurde von der Technologieagentur Tecnet des Landes Niederösterreich gefördert.

Die Zielsetzung ist klar. Bisher erforderte die Verarbeitung von Holz zu Biokraftstoffen einen erheblichen Energieaufwand. Sollte es gelingen, LPMO gezielt für diese Aufgaben einzusetzen, wäre dies ein Durchbruch. Ethanol und Butanol ließen sich wesentlich kostengünstiger produzieren, auch aus billigsten Holzabfällen. In der Papierindustrie indes könnte der LPMO-Einsatz die Bleiche vereinfachen. Das dabei entfernte Lignin wäre als Rohmaterial für hochstabile Kunststoffe geeignet. (Kurt de Swaaf, 9.3.2017)