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Berichte über die nordkoreanischen Atomkapazitäten sorgen nicht nur Südkorea, sondern auch China und die USA.

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Chinas Außenminister Wang Yi warnt vor dem Zusammenprall.

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Dramatischer hätte Chinas Außenminister Wang Yi vor dem Zusammenprall Nordkoreas mit den USA nicht warnen können. Er verglich beide mit aufeinander zurasenden Zügen. Sie "beschleunigen auch noch ununterbrochen. Keiner will dem anderen ausweichen. Nehmen sie wirklich ihren Frontalzusammenstoß in Kauf?", fragte Wang rhetorisch. "Jetzt ist höchste Eile geboten, die Ampel auf Rot zu schalten und zugleich auf die Bremsen zu treten."

In Pekings Großer Halle des Volkes beschwor der sonst überlegte Politiker den Showdown zur nuklearen Katastrophe auf der Koreanischen Halbinsel. Er stellte China als "Weichensteller in letzter Minute" hin. Wang wies aber nur Washington und Pjöngjang die Schuld an der angeblich hochexplosiven Lage zu: den USA, weil sie mit Südkorea vor dessen Küste gerade zweimonatige Seemanöver begonnen haben; und Nordkorea, weil es am Montag aus Protest gegen die Manöver vier weit ins Meer fliegende Raketen abgeschossen hatte. Wang sagte nicht, dass die Seemanöver ein alljährliches Verteidigungsritual sind, ebenso wie die Reaktion Nordkoreas darauf.

Eskalation noch nicht erkennbar

Auch chinesische Nordkorea-Experten können eine Eskalation gegenüber 2016 noch nicht erkennen. Nordkorea ließ im vergangenen Jahr wegen der Manöver sogar 20 Raketen abschießen. Es testete 2016 auch noch eine Langstreckenrakete und führte zwei seiner inzwischen fünf unterirdischen Atomtests durch. Damals rief Peking alle Beteiligten auf, "Ruhe zu bewahren", und unterstützte nur Bestrebungen, die UN-Sanktionen weiter zu verschärfen.

Nun aber zeigte sich Wang alarmiert. Das deutet darauf hin, dass China sich nach der vermutlich von Nordkorea angeordneten Ermordung des Halbbruders von Kim Jong-un Sorgen um die innere Stabilität des Regimes macht. Es befürchtet weitere Provokationen. In Südkorea wird mit einem kurz bevorstehenden sechsten unterirdischen Atomtest gerechnet. Auch der chinesische Nordkorea-Forscher Zhang Liangui vermutet einen baldigen Test – einfach aus dem Grund, die Funktionsfähigkiet der Atomwaffen zu demonstrieren.

Das birgt eine Gefahr: Eine noch unerfahrene US-Regierung unter Donald Trump könnte auf einen solchen Test impulsiv reagieren und eine ungewollte Eskalation heraufbeschwören. Die Fronten sind zudem unübersichtlich. An einem Nebenschauplatz haben die USA zum Zorn und gegen vehemente Proteste Chinas diese Woche damit begonnen, ihr neues Raketenabwehrsystem Thaad in Südkorea zu installieren.

Sorge um eigene Entwertung

Peking befürchtet, dass dieses Hightechsystem auch Chinas strategisches Abschreckungsarsenal entwerten könnten. Chians Drohungen richten sich vor allem gegen Südkorea. Der Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, sicherte Seoul alle Unterstützung gegen den Druck aus Peking zu. Das Problem steht auf der Tagesordnung, wenn vom 15. bis 19. März US-Außenminister Rex Tillerson Tokio, Seoul und erstmals Peking besucht. Die USA bezweifeln seit Trumps Amtsantritt, dass China bereit ist, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben.

So könnte Wangs Schreckensszenario auch ein Wink für die USA sein, dass sie Peking als Vermittler brauchen. Er forderte die USA und Nordkorea zu einem Stillhalteabkommen auf. Pjöngjang solle keine Raketen mehr abschießen, die USA dafür ihre Manöver beenden. Dann könnten sie sich wieder zu den von China einst geführten Sechsparteiengesprächen zusammensetzen. In zweigleisigen Verhandlungen sollen sie darüber reden, wie sich die Koreanische Halbinsel entnuklearisieren lässt. Und wie Nordkorea die Sicherheit garantiert wird, die es davon überzeugt, auf Atomwaffen verzichten zu können.

Wang erwähnte nicht, dass Chinas Angebot, den "Weichensteller" zu spielen, nur eine Wiederauflage der alten, an Nordkoreas Widerstand gescheiterten chinesischen Vermittlung ist. Von 2003 bis 2007 nahmen Nord- und Südkorea, die USA, Japan und Russland unter Federführung Chinas an den Sechsparteiengesprächen in Peking teil, die Nordkorea vergeblich zur atomaren Abrüstung überreden wollten. Wang war damals Vizeaußenminister und leitete alle sechs Runden, die 2007 nach dem demonstrativen Ausstieg Nordkoreas endeten. 2009 kündigte Nordkorea endgültig seine Beteiligung auf.

Internationale Hilflosigkeit

Der Dialog hatte Nordkorea nur wertvolle Zeit verschafft, sich zur Atommacht zu erklären und das mit unterirdischen Atomtests zu beweisen. Hilflos sahen die Staaten zu, wie Nordkorea Anlagen zur Plutoniumgewinnung und Urananreicherung baute. Mit ihnen soll es heute nach Schätzungen in Südkorea und den USA genug waffenfähiges Nuklearmaterial erzeugen können, um jährlich zwischen sechs und zwölf Atomwaffen zu bauen.

Die ganze Zeit über hielt Peking die USA, Südkorea und Japan davon ab, Nordkorea mit mehr Härte zu begegnen. Inzwischen ist in den USA Kritik laut geworden, dass Peking nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems ist. (Johnny Erling aus Peking, 9.3.2017)