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Brief, Wunschliste, Papa: Die Bedürfnisse eines Kindes getrennter Eltern zählen auch bei der neuen Gesetzeslage wenig. Viele Gerichte entscheiden noch immer vorwiegend zugunsten der Mütter.

Foto: REUTERS/Toby Melville

2013 trat ein Gesetz in Kraft, das auch in strittigen Fällen eine gemeinsame Obsorge vorsieht. Im selben Jahr brachte Bernhard M. für seinen Sohn Michael bei einem Tiroler Gericht einen diesbezüglichen Antrag ein. Er wurde aus zwei Gründen abgewiesen. Zum einen hatte er sich schriftlich bei einer zweisprachigen Volksschule erkundigt, ob sein Sohn dort unterrichtet werden könnte, die positive Antwort an die Mutter weitergeleitet und sie in einer Mail gebeten, sich die Schule anzusehen – was der Richter als unbotmäßige Einmischung in die Erziehung auslegte. Zum anderen verweigerte die Kindsmutter da bereits seit einem Jahrzehnt jede Kommunikation mit Bernhard M.: nicht weil er sich als Vater oder Mann irgendetwas hätte zuschulden kommen lassen, sondern um jeden Dialog über "ihr" Kind von vornherein abzublocken. Dieses Kalkül ging auf; ob der fehlenden Gesprächsbasis sprach der Richter M. von vornherein jedes Recht auf gemeinsame Obsorge ab und verzichtete deshalb auch auf die gesetzlich vorgesehene Mediation. Sie denken, da würden Sachverhalte einseitig dargestellt? Lassen Sie mich die jüngsten Beschlüsse des zuständigen Gerichts zusammenfassen.

An seinem zehnten Geburtstag will Michael von seinem Vater von der Schule abgeholt werden; die Mutter verbietet ihrem Sohn das mit den Worten "Das Gericht erlaubt das nicht". Der aufgeweckte Bub schreibt darauf einen Brief an das Gericht: Er möchte endlich, dass Mama und Papa gemeinsam bestimmen, längere Winter- und Sommerferien mit dem Papa, dessen Geburtstage und die von Oma und Opa mitfeiern können, seinen in Luxemburg lebenden Halbbruder öfter besuchen und mit ihm und Papa auch telefonieren und skypen. Michaels Wunschliste beginnt mit "Ich möchte gerne, dass die Mama winkt, wenn Papa mich abholt" (was er jedoch wieder durchstreicht, "weil die Mama das eh nie tun wird") und endet mit "Bitte nicht meiner Mama zeigen! Sonst ist sie böse auf mich".

Kontaktregelungen

Da inzwischen ein anderer Richter zuständig ist, nimmt der Vater die Sprechstunde wahr, um auszuloten, was man für seinen Sohn tun könne. Dabei geht es ihm auch um den neuen Paragrafen 187 ABGB, der zur Kontaktregelung zwischen Eltern und Kindern vorschreibt, dass "neben Zeiten der Freizeit möglichst auch die Betreuung im Alltag umfasst werden soll".

M. und die Richterin hatten noch nie miteinander zu tun. Er zeigt ihr Michaels vertraulichen Brief, worauf der erste an ihn gerichtete Satz lautet: "Ich mag keine Leute, die ihre Kinder vorschieben." Sie weigert sich, den Brief zu lesen. Als M. ihr den Inhalt zusammenfasst, erwidert sie: "Ich kann gut verstehen, weshalb die Mutter darüber böse sein wird." Michaels Wünsche hält sie rechtlich für belanglos; sie rät M. allenfalls, "den Druck vom Kind zu nehmen". Die Antwort, dass er eben deshalb hier sei, quittiert sie mit Schulterzucken. Auf die Frage, wie er der Pflicht nachkommen solle, sich mit einem bloßen Wochenendbesuchsrecht auch im Alltag um seinen Sohn zu kümmern, erwidert sie: "Ich will hier nicht darüber mit Ihnen diskutieren." Das von einem Gerichtspraktikanten verfolgte Gespräch dauert keine Viertelstunde.

Unparteiisches Verfahren?

Bernhard M. ersucht darauf die Richterin, die Betreuung seines Falls an einen anderen Richter abzugeben oder sich zu äußern, ob sie ein unparteiliches Verfahren zu gewährleisten vermag. Er koppelt dies mit einem Antrag auf Rechtsbelehrung zu den Punkten, wo die Richterin nicht auskunftsbereit war: weshalb Michael keinen Anspruch habe, seinen Halbbruder zu besuchen; was man dagegen tun könne, dass die Mutter ihn seinen Sohn während der Sommermonate nicht sehen lasse, weil sie da stets "auf Urlaub" sei; und wie das Gericht "Alltag" definiere. Falls sein Antrag der Kindsmutter zugestellt werden müsse, bittet er ausdrücklich, diesen zurückzuziehen zu können, um jeden Hinweis auf den Brief seines Sohnes zu tilgen, damit der Bub nicht bei seiner Mutter in Schwierigkeiten gerät.

Der Gerichtsvorstand befragt die Richterin, die sich kaum an etwas erinnern, allenfalls gesagt haben will, "dass sie nicht glücklich darüber sei, wenn Eltern ihre Kinder vorschieben". Dass sie damit weiterhin M. unterstellt, sein Kind für eigene, negative Zwecke zu instrumentalisieren, lässt beim Gerichtsvorstand jedoch nicht "die Besorgnis aufkommen, dass bei der Entscheidungsfindung andere als rein sachliche Überlegungen eine Rolle spielen". Er zählt dafür eine Reihe von Befangenheitsgründen auf, unterschlägt dabei jedoch zwei "unsachliche persönliche Bemerkungen zu Parteien und abwertende Pauschalurteile". Auch die Verweigerung von Rechtsauskünften ist für ihn kein Grund. Er merkt bloß an, "dass der genaue Inhalt des Gesprächs nicht mehr objektivierbar wäre" – obwohl er den anwesenden Gerichtspraktikanten hätte befragen können.

Aus dem Beschluss des Gerichtsvorstands geht hervor, dass Michaels Brief trotz aller Bitten um Vertraulichkeit der Mutter zugestellt wurde. M. kann einen solchen Umgang mit dem Kindswohl fast nicht glauben, hat immer noch keine Rechtsbelehrungen erhalten und stellt nun einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Der wird erneut vom Gerichtsvorstand zurückgewiesen, wobei sich herausstellt, dass die Zustellung des Briefes von diesem selbst veranlasst wurde; der Gerichtsvorstand urteilt somit über etwas, für das er selber zur Verantwortung gezogen werden müsste.

In der Zwischenzeit hat die Mutter angekündigt, dass Michael seinen Vater wie immer außer den gesetzlich festgelegten zwei Wochen im Sommer nicht zu sehen bekommt. Darauf beantragt er eine dritte Urlaubswoche, um die ausfallenden Besuchswochenenden zu kompensieren und dem Kind zu erlauben, seinen Luxemburger Halbbruder zu besuchen, dem ein Besuchsrecht zusteht.

Der Gerichtsvorstand als Urlaubsvertreter bearbeitet den Antrag und stellt ihn der Kindsmutter zu. Diese behauptet, sie habe M. bereits öfter das Kind einen Tag früher abholen lassen und bereits einem längeren als gesetzlich festgelegten Urlaub zugestimmt; außerdem habe er bei Michaels luxemburgischem Halbbruder kein Obsorgerecht – sei also nicht befugt, für diesen Besuchsrecht zu beantragen. Obwohl all dies nachweislich gelogen ist, werden die Äußerungen M. nicht zur Stellungnahme vorgelegt – dem Gerichtsvorstand genügen die Behauptungen der Kindsmutter, um den Antrag zurückzuweisen.

Bezeichnend für den Umgang mit Rechtsansprüchen eines Vaters ist auch die Begründung seines Beschlusses. Er zitiert zunächst einen Kommentar, wonach das Ferienbesuchsrecht im Sommer 14 Tage "nicht wesentlich überschreiten soll, weil bei längerem Fortbleiben des Kindes eine Entwöhnung aus der gewohnten Umgebung oder sogar ein Unterlaufen der Erziehung des anderen Elternteils zu befürchten wäre". Dass eine dritte Urlaubswoche gerade in Hinblick auf entfallende Besuchszeiten beantragt wurde (zeitliches Überschreiten somit nicht vorliegt) und das Argument der Entwöhnung oder Umerziehung gar nicht vorgebracht wurde, ignoriert der Gerichtsvorstand; ebenso wenig wird von diesem allgemeinen Kommentar ein konkreter Bezug zum vorliegenden Fall hergestellt.

Danach bringt das Gericht vor, dass es nicht seine Aufgabe sei, die Schulferien zwischen den Eltern "rein arithmetisch möglichst gleich lang aufzuteilen" – auch dies ein Postulat, das weder begründet wird noch bei drei Urlaubswochen im Verhältnis zu fünf zuträfe. Als eigentlicher Grund der Zurückweisung wird dann aber angeführt, dass der Vater ohnehin einen längeren Urlaub als gesetzlich festgelegt mit dem Kind verbringen kann: was einzig auf der unhinterfragt übernommenen Behauptung der Kindsmutter beruht und falsch ist.

Von öffentlichem Interesse sind hier nicht nur die Mängel in der Feststellung und der Beschlusslogik, wobei die über den Vater ausgedrückten Wünsche des Kindes völlig unbeachtet bleiben und auf den Einzelfall in keinster Weise eingegangen wird. Deutlich werden auch Eigendynamiken der Rechtsprechung, welche die neue Obsorgeregelung unterlaufen. Diese hat erstmals eine Gleichberechtigung zwischen den Eltern zum Ziel, weil die Entwicklungspsychologie gezeigt hat, dass für ein Kind Vater wie Mutter gleich wichtig sind. Nirgendwo ist deshalb mehr die Rede davon, dass ein Obsorgeberechtiger – im Regelfall die Mutter – allein über das Kind verfügen soll. Dennoch ist das Gericht nicht in der Lage, die neuen Paragrafen eigenständig auszulegen und anzuwenden. Stattdessen beruft es sich weiter auf Rechtsprechungen der letzten Jahrzehnte und hält so einen Status aufrecht, der längst als nicht mehr kindgemäß erkannt wurde.

Welches Berufsethos?

Wie aber nun die Einstellung und das Berufsethos dieser beiden Pflegschaftsrichter einschätzen? Kommt dabei nur die mangelnde psychologische Ausbildung von Juristen zum Vorschein? Eine gesellschaftlich geprägte Voreingenommenheit gegenüber der Rolle des Vaters in der Kindeserziehung? Inkompetenz oder Desinteresse? Ihre Rechtsauslegung ist durchaus subjektiv; sich als Vertreter der Öffentlichkeit aber irgendwo moralisch rechtfertigen zu müssen, davon sind sie entbunden – es lassen sich hier nicht einmal ihre Namen nennen, um keinerlei Rückschlüsse auf die eigentliche Identität von Michael und seiner Mutter zu ermöglichen.

Merkbar ist diese institutionelle Abgehobenheit auch daran, dass sie den Vater lieber kasuistischen Spießrutenläufen unterzieht, statt irgendetwas zu unternehmen. Die einzige Rechtsbelehrung, die M. bislang erfuhr, war die schriftliche Mitteilung, dass das Gericht nicht zu schriftlichen Auskünften verpflichtet ist – dass diese auch telefonisch oder per neuerlichen Amtstermin erfolgen könnten, wird nicht erwähnt. Trotz Michaels Brief sehen die beiden Richter seit nunmehr zehn Monaten (!) nicht die geringste Dringlichkeit, sich des Kindswohls anzunehmen. Der Vater wandte sich an das Jugendamt, das sich erstaunt zeigte, nicht vom Gericht eingeschaltet worden zu sein, ihm aber bloß raten konnte, dort Anträge einzubringen.

Es ist dies ein kafkaesker Umgang mit den Wünschen und Bedürfnissen eines Kindes – und er findet noch lange kein Ende. Die Berufungsinstanz etwa befindet, dass man bei einer Amtssprechstunde kein Recht auf Rechtsauskunft in den besagten Punkten habe, weil diese nur im Streitfall zu erlangen sei. Auch an der Weitergabe des kindlichen Briefes hat die Berufungsinstanz nichts auszusetzen; sie ordnet jedoch eine Anhörung des bei der Sprechstunde anwesenden Praktikanten an. Der bestätigt im Wesentlichen M.s Darstellung des Gesprächs mit der Richterin. Der Gerichtsvorstand sieht darauf erneut "keine Grenze überschritten, ab der man von unsachlichen Erwägungen gegenüber dem Vater ausgehen müsste". Ohne dass es zu Erhebungen gekommen wäre, stellt er dann fest, dass die zitierte Äußerung der Richterin, der Vater schiebe sein Kind vor, "auch inhaltlich zutreffend zu sein scheint". Die richterliche Unterstellung wird nunmehr sogar als Fakt hingestellt.

Befangen, aber zuständig

Die als befangen angesehene Richterin ist weiter zuständig für dringliche Angelegenheiten in dem Fall. Dazu gehört, dass der Vater seit Sommer wissen möchte, wie es um die Weihnachtsfeiertage steht. Denn sein Wochenendbesuchsrecht fällt in diesem Jahr ausnahmsweise auf den 23., 24. und 25. Dezember, sodass er zum ersten Mal überhaupt mit seinem Sohn die Bescherung zeitnahe feiern könnte, und nicht erst wie sonst am 26. Dezember. Dabei bietet er der Mutter an, seinen Sohn den Heiligen Abend selbstverständlich auch bei ihr verbringen zu lassen. Die um Klärung gebetene Richterin reagiert auf mehrere Anfragen nicht. Darauf kündigt die Kindsmutter dem Gericht an, mit Michael einen "Kurzurlaub" von 22. bis 24. Dezember zu unternehmen, damit der Vater seinen Sohn ja nicht zu Gesicht bekommen kann. Auch darauf reagiert die Richterin nicht. Da am 25. noch der 75. Geburtstag der Großmutter väterlicherseits gefeiert wird, stellt der Vater einen eiligen Antrag, damit Michael wenigstens das Fest besuchen kann. Die Richterin ist gemäß Paragraf 25 Jurisdiktionsnorm dazu verpflichtet, Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Nach mehrfachem Urgieren erhält M. von ihr drei Tage vor Weihnachten einzig die Antwort: "Mir ist es aufgrund des Befangenheitsverfahrens nicht möglich, eine Entscheidung zu treffen. Der Akt befindet sich derzeit beim Gerichtsvorstand."

Ende der Mitteilung. Auch darauf, wie M. seiner gesetzlichen Pflicht, Michael im Alltag zu betreuen, mit seinem 14-tägigen Wochenendbesuchsrecht nachkommen soll, wird er vergeblich warten. Ich werde Ihnen berichten, wie es weitergeht: das Ende aber scheint bereits jetzt absehbar. (Raoul Schrott, 8.3.2017)