85 Pächter, 90 Geschäfte und 20.000 Quadratmeter neue Handelsfläche flankieren den Weg zum Zug. Die Herausforderung: hohe Sicherheitsauflagen und Wohlfühlatmosphäre unter ein Dach zu vereinen.

Andy Urban

Wien – Fleischhauer Radatz, Brötchenmacher Tauber und ein Eisverkäufer sind weg. An ihrer statt kocht nun Asia-Gourmet, bald ergänzt durch Leberkas-Pepi und einen Kaffeeautomatenbetreiber. Parallel zu Änderungen beim Mietermix laufen sechs Gerichtsprozesse rund um ausstehende Pachten. Bei drei zeichnet sich ein Vergleich ab. In zwei Fällen wurden Mieten über Jahre nicht bezahlt.

Die Szenerie, die sich auf Wiens Hauptbahnhof mitsamt seinen gut 20.000 Quadratmetern an Einzelhandelsflächen zweieinhalb Jahre nach Eröffnung ergibt, unterscheidet sich nicht groß von jener anderer neuer Einkaufszentren: Abtausch von Mietern, unerfüllte gegenseitige Erwartungen, Reibereien, die bei der Justiz landen.

Bis zu fünf Jahre braucht es in der Regel, bis Shoppingcenter Anlaufhürden meistern und in halbwegs runden Bahnen laufen. Kein Grund also, sich um das Prestigeprojekt im Süden Wiens, das neben dem Verkehr den Konsum beflügeln sollte, zu sorgen? Nein, betonen die Bundesbahnen und die Stadt Wien einhellig. Alles sei auf gutem Wege und der Erfolg gewiss.

Zehn-Jahres-Verträge

Von wegen, klagen Händler. Ihnen hatte der Einkaufszentrenbetreiber ECE, der mit Wiener Centern auch am Westbahnhof und in Gerasdorf keinen leichten Stand hat, eine äußerst hohe Kundenfrequenz in Aussicht gestellt. Verhandlungsspielraum gab es für die meisten keinen. Man band sich – wie auf dem Markt Usus – vertraglich zehn Jahre aneinander.

Nun ist quer durch die Branchen von unverschämten Mieten die Rede, von nach wie vor mageren Umsätzen und groben handwerklichen Fehlern bei der Konzeption des Einkaufsareals. Vor allem in dem mit wenig Licht gesegneten Untergeschoß gärt es.

Franz Hammerschmid weist die Kritik scharf zurück. Klar gebe es bei großen, komplexen Projekten in Einzelfällen Probleme, sagt der ÖBB-Geschäftsbereichsleiter. 2015 sei man aber 65 der 85 Pächter preislich entgegengekommen. 45 hätten im Vorjahr Nachlässe bekommen, 20 heuer. Die Besucherfrequenz sei im Vorjahr um fast 40 Prozent auf täglich 120.000 Menschen gestiegen. Zwei Drittel davon besuchten auch die Handelsflächen.

"Mit Schrauben feinjustieren"

ECE-Geschäftsführer Christoph Augustin spricht von normalen Anpassungen und Fluktuationen. "Der Besucherzuwachs im Vorjahr spiegelt sich in 29 Prozent in höheren Umsätzen wider." Ihr Volumen verrät der Konzern ebenso wenig wie die Höhe der Pachteinnahmen. Elf Millionen Euro peilte die ÖBB an. Nur so viel: Man nähere sich dem Niveau an, unterm Strich liege der Umsatz pro Quadratmeter über dem Branchenschnitt. Natürlich müsse man noch mit einzelnen Schrauben feinjustieren und weiter wachsen, sagt Augustin. "Aber der Ausblick ist gut."

2000 neue Wohnungen wurden rund um die Bahnhofcity bezogen. 5000 sollen es werden. 4500 Arbeitsplätze entstanden in Blickweite, weitere 8000 sind geplant. Bis 2020 sollen in dem neu entwickelten Stadtteil bis zu 15.000 Menschen leben und 20.000 arbeiten, rechnet Christoph Hrncir, Dezernatsleiter und Experte für Stadtentwicklung bei der Magistratsabteilung 21, vor. "Es wird sich hier viel zusätzliches Leben abspielen."

Ein" frei in die Landschaft hinein geplantes Architekturdenkmal" sehen andere. Und ein Einkaufscenter, das an "eine einsame Insel" erinnere. Es fehle an Anbindungen in die umliegenden Bezirke, vor allem in die Favoritenstraße, so der Tenor. Die Enttäuschung sei groß.

"Keine Zugwirkung"

Von einer Zugwirkung sei bisher nichts zu spüren, sagt Rainer Trefelik, Spartenobmann des Wiener Handels. "Bahnhofsfrequenz ist keine Kauffrequenz." Letztlich seien nur wenige große Einzelprojekte Reißer, "wir sollten lieber gewachsene Strukturen stärken".

Hannes Lindner, Chef des Beraters Standort+Markt, glaubt hingegen an den Erfolg der neuen Handelsfläche, auch wenn sich dieser verzögere, was für kleinere Händler mit hohen Personalkosten mitunter bitter sein könne. "Dass die Kernfunktion ein Bahnhof ist, bei dem auf öffentliche Interessen Rücksicht genommen werden muss, sollte dabei jedoch allen bewusst sein." Lindner hätte das Einkaufsareal noch größer dimensioniert.

Die Erwartungshaltung war sicher hoch – bis ein Center angenommen werde, müsse man weltweit aber jedem drei bis fünf Jahre Zeit einräumen, ergänzt Peter Schaider, Eigentümer des Auhofcenters. "Die Kundenströme müssen erst umprogrammiert werden."

Auch die Süßwarenspezialisten Heindl und Manner, die ÖBB-Manager Hammerschmid als Beispiele für zufriedene Pächter heranzieht, zweifeln nicht am Potenzial des Hauptbahnhofs. Dass es an Wohlfühlatmosphäre fehlt, lassen die beiden dennoch unverhohlen durchblicken. Hammerschmid verweist auf neue Sitzgelegenheiten und einen Wasserfall. Lebende Bäume, grüne Wände und Bilder sollen folgen. Auch an der Klimatechnik will die ÖBB feilen. Bisher schmolz Manner im Sommer nicht selten die Schokolade davon. (Verena Kainrath, 9.3.2017)