Demonstrierende Türken in Österreich: Die Frage, wie viele von ihnen einen österreichischen und einen türkischen Pass haben, sorgt für Aufregung.

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Frage: Im Vorfeld des türkischen Verfassungsreferendums am 16. April wird über ehemalige Türken diskutiert, die zwar in Österreich eingebürgert wurden, aber auch die türkische Staatsbürgerschaft haben, obwohl sie diese von Rechts wegen nicht mehr besitzen dürfen – und die daher beim Referendum abstimmungsberechtigt sind. Wie kommt es zu derlei Doppelstaatsbürgerschaften?

Antwort: Das hat mit mangelndem Informationsaustausch zwischen türkischen und österreichischen Behörden zu tun: Laut österreichischem Recht muss jeder Neoösterreicher entweder vor oder binnen zweier Jahre nach der Staatsbürgerschaftsverleihung seine frühere Staatsangehörigkeit zurücklegen. Passiert das nicht, kann die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erworben werden oder wird rückwirkend aberkannt. Lässt sich jemand später in der alten Heimat einen neuen Pass oder Personalausweis ausstellen – verliert die österreichische Staatsbürgerschaft ex lege ihre Wirkung – aber natürlich nur, wenn Österreich von der Sache erfährt. Laut dem Einbürgerungsrechtsexperten Gerd Valchars klappte der Infoaustausch mit der Türkei bis vor wenigen Jahren gut, nun aber nicht mehr. Die Dunkelziffer österreichisch-türkischer Doppelstaatsbürgerschaften ist daher schwer einzuschätzen.

Frage: Wird die österreichische Staatsbürgerschaft in den bekanntwerdenden Fällen immer aberkannt?

Antwort: Da aus der Türkei keine diesbezüglichen Informationen existieren, werden in Verdachtsfällen sogenannte Feststellungsverfahren durchgeführt. Im Fall von Doppelstaatsbürgerschaften, die Länder wie etwa Deutschland oder Schweden betreffen, die gegenseitige Informationsabkommen mit Österreich haben, gibt es diese Verfahren nur im Fall von Zweifeln an den oder Einsprüchen gegen die übermittelten Informationen. Sonst informiert die zuständige Landesbehörde die Heimatgemeinde, die die zweite Staatsangehörigkeit einfach streicht. In Tirol etwa waren 2015 zehn, 2016 14 Feststellungsverfahren in türkisch-österreichischen Fällen anhängig. 2017 sind es bereits zehn. Hinsichtlich andere Staaten betreffende Doppelstaatsbürgerschaften wurde in Tirol 2015 und 2016 je zehn- bis 15-mal ermittelt. In Wien würden keine Zahlen bezüglich türkisch-österreichischer Fälle erhoben, heißt es seitens der MA 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft). Es gibt nur eine Gesamtzahl von Feststellungsverfahren, die amtswegig oder auf Antrag geführt werden. 2016 wurden 647 Fälle behandelt. Der überwiegende Teil betraf Verfahren, in denen Personen österreichische Vorfahren geltend machten. 396 Feststellungsverfahren wurden im Vorjahr negativ beschieden. Eine nationalitätenspezifische Auswertung gibt es in Wien nicht.

Frage: Sind Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich eigentlich verboten?

Antwort: Nein. Bei der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft besteht die Verpflichtung, die frühere Staatsangehörigkeit zurückzulegen. Bei Flüchtlingen, und wenn Herkunftsländer die Aufgabe ihrer Staatsangehörigkeit nicht ermöglichen, akzeptiert Österreich aber die Entstehung von Doppelstaatsbürgerschaften. Oder wenn Menschen zwei (oder mehrere) Staatsangehörigkeiten haben, weil ihre Eltern bei ihrer Geburt unterschiedliche Pässe besaßen.

Frage: Müssen diese Kinder einen Pass zurückgeben?

Antwort: Nein, sie können beide behalten – und zwar über die Volljährigkeit hinaus. Wurde ein Kind darüber hinaus in einem Staat geboren, der Staatsbürgerschaften aufgrund des sogenannten Territorialitätsprinzips vergibt, wie etwa die USA, hat es ganz legal drei Pässe. In Deutschland mussten sich Jugendliche, die durch das Territorialitätsprinzip sowohl Deutsche als auch Angehörige eines anderen Staates waren, mit spätestens 23 entscheiden. Die Optionspflicht wurde 2014 gestrichen

Frage: Welche Länder untersagen das Zurücklegen der Staatsbürgerschaft?

Antwort: Viele. Zu den für Österreich aufgrund von Migration und Flucht relevanten gehören etwa Afghanistan, der Iran, der Libanon, Syrien und Tunesien. Anerkannte Flüchtlinge dürfen ihre Staatsbürgerschaft in Österreich übrigens behalten, da ihnen laut Gesetz nicht zumutbar ist, in der Botschaft des Verfolgerstaats einen Aberkennungsantrag zu stellen.

Frage: Weiß man, wie viele Menschen mit zwei oder mehreren Staatsbürgerschaften in Österreich leben?

Antwort: Nein, diese Zahlen werden nicht erhoben. Laut Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Integrationssprecherin Alev Korun von 2013 ist daher auch unbekannt, wie sich diese Zahlen seit der Jahrtausendwende entwickelt haben. Offizielle Schätzungen gibt es laut der Anfragebeantwortung ebenfalls nicht. Zu vermuten ist angesichts von mehr binationalen Ehen und Partnerschaften jedoch, dass Doppelstaatsbürgerschaften zahlreicher geworden sind.

Frage: Ist Österreich bei Doppelstaatsbürgerschaften im Ländervergleich besonders zurückhaltend?

Antwort: Ja. In der EU zum Beispiel akzeptieren respektive befürworten derzeit 18 der 28 Mitgliedstaaten den Besitz mehrerer Pässe – auch nach Einbürgerung nach einem Antrag. (Steffen Arora, Irene Brickner, David Krutzler, 10.3.2017)