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Erdoğan-Darsteller Reha Beyoğlu bei der Premiere in Istanbul.

Foto: MURAD SEZER/Reuters

Wien – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war schon als Kind "Reis", was so viel heißt wie "der Anführer". So wird Erdoğan zumindest im gleichnamigen Film dargestellt, der derzeit auch in österreichischen Kinos zu sehen ist. Premiere feierte das fast zweistündige Epos am 26. Februar in Istanbul. An diesem Tag feierte Erdoğan seinen 63. Geburtstag. Das Geburtstagsgeschenk in der Regie von Hüdaverdi Yavuz soll mehr als sieben Millionen Euro gekostet haben.

In Wien wird der Film dieser Tage im Kino in der Millennium City gezeigt. Gemeinsam mit Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell, der unter anderem zum Thema Propaganda forscht, hat DER STANDARD am Donnerstag den Film angesehen.

Um es vorwegzunehmen: Der Publikumsandrang war überschaubar. Etwa 50 vorwiegend junge austrotürkische Gäste kamen, um den Streifen, der in türkischer Sprache mit deutschen Untertiteln gezeigt wurde, zu sehen.

TrueWahrheit

In seinem Viertel Kasimpaşa in Istanbul hat sich der junge Recep Tayyip schon früh einen guten Ruf erarbeitet. Er soll so selbstlos gewesen sein, dass er sogar auf ein rotes Fahrrad verzichtete, das ihm sein Vater schenken wollte, weil er in der Predigerschule aufgenommen wurde.

Stattdessen spendete er das Geld einem Buben aus der Nachbarschaft. "Ferdi" spielte Recep Tayyip zwar immer wieder üble Streiche – als er dessen Mutter aber das Fahrradgeld für Ferdis Schulausbildung schenkte, erkannte auch er: Recep Tayyip ist der Anführer. Die Mutter, die dem Buben für seine Gabe dankbar ist, ist eine der raren Frauenrollen in dem Film.

Recep Tayyips Vater – der "Kapitän" – wird als liebevoll, aber streng skizziert. Mit Schuleintritt sollte der junge Recep Tayyip das Ballspielen bleibenlassen, damit er ein Mann wird. Der fromme Vater zeichnet den Weg seines Sohnes vor – er soll Prediger werden. Die Erwachsenen im Arbeiterviertel mögen den bedächtigen, hilfsbereiten Buben. Der Imam lobt das Glänzen in den Augen des jungen "Gelehrten".

Spinne zerdrücken

Entweder man wird von der Spinne gefressen, oder man zerdrückt sie. An diese Weisheiten aus der Kindheit erinnert sich Erdoğan bei seinem Aufstieg zum Bürgermeister von Istanbul. Wiederkehrende Morddrohungen, die seine Kandidatur für das Amt verhindern sollen, schrecken Erdoğan nicht ab. Er fürchte den Tod nicht. Denn der Tod bedeute, mit Gott wiedervereinigt zu sein, lässt er die geheimnisvollen Widersacher am Telefon wissen.

Korruption, Bonzen, blutige Rache für den Verräter, eine traurige Liebesgeschichte, die doch noch glücklich endet, ein Waisenkind, das von seinen Freunden im Viertel Geld für die dringend anstehende Herzoperation bekommt, ein aus dem Brunnen geretteter Hund, Heroinsucht: "Reis" spricht viele Emotionen an.

Applaus bei "Ich bin das Volk"

Wegen der Rezitation eines Gedichts als Bürgermeister von Istanbul ("Die Minarette sind unsere Bajonette / und die Gläubigen unsere Soldaten") wird Erdoğan schließlich eingesperrt. Eine Szene am Schluss lässt viele Kinobesucher in der Millennium City nicht kalt: Als ein Attentäter im Gefängnis versucht, Erdoğan zu ermorden, und von seinem Kollegen mit den Worten "Ich bin das Volk" daran gehindert wird, wird geklatscht.

Positive Kritik der jungen Austrotürken

Vor der Kamera will keiner der befragten Besucher zum Film Stellung nehmen. Die Kritik fällt aber durchwegs positiv aus. Eine Gruppe junger Frauen hätte sich Details zu Erdoğans politischem Wirken in seiner Jugend gewünscht, doch – so ist die Hoffnung – vielleicht ist das in der geplanten Fortsetzung zu sehen. Zum von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geplanten Auftrittsverbot gibt es unterschiedliche Meinungen: "Dann sind wir in einer Diktatur" und "Wenn Auftrittsverbot, dann für alle ausländischen Politiker", heißt es.

Hausjell: "Eindeutig ein Propagandafilm"

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Für Kommunikationswissenschafter Hausjell ist "Reis" "eindeutig ein Propagandafilm". Typisch für Propagandafilme sei eine ausschließlich positive Zeichnung der zentralen Figur. Politisches und religiöses Liedgut sowie Slow-Motion-Passagen würden die Idealisierung begünstigen.

"Dürfen den Film nicht mit unseren Augen sehen"

Hausjell glaubt, dass der Film bei einem Teil des Publikums durchaus die intendierte Wirkung erzielen kann. "Wir dürfen den Film nicht mit unseren Augen sehen." Was hierzulande oft als übertriebener Kitsch gesehen werde, sei in der türkischen Film- und Fernsehkultur eine legitime, intensive Emotionalisierung. Gegensteuern könne man durch eine Debatte, indem die propagandistischen Elemente des Films aufgezeigt werden.

"Offene Debatte führen"

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Zur Frage, ob ein solcher Film in Österreich gezeigt werden soll, sagt Hausjell: "Ja." Ein Verbot des Films würde zum Verdrängen in den Untergrund führen. Das wiederum würde eine offene Debatte darüber verhindern.

Das von Kern und Kurz vorgeschlagene Auftrittsverbot für Erdoğan unterstützt Hausjell nicht: Man könne Erdoğan hier mit Kritik konfrontieren. "In seinem Land ist das ohnehin schon fast nicht mehr möglich", sagt Hausjell.

Kritik im Vorfeld

Mehrere Erdoğan-kritische Stimmen hatten sich vor dem Filmstart in Österreich gemeinsam gegen die Aufnahme ins Kinoprogramm gestellt, darunter die Föderation der Alevitengemeinden in Österreich und die Plattform gegen die Einführung eines Präsidialsystems. Der Film stelle "eine einzige Verklärung und Hommage dar", die dem Verfassungsreferendum "propagandistisch Vorschub leisten" solle.

Die Kinos sowie die politisch Verantwortlichen wurden in dem Protestschreiben aufgefordert, die Absetzung des Streifens zu erwirken. Neben der Millennium City zeigen im Moment auch Vorarlberger Kinos den Film. (Katrin Burgstaller, 10.3.2017)