Hinter allen verklärenden Schleiern operiert Erez Israeli: "Jewish Skull" (2017).

Foto: Matthias Bildstein

Dass er um den heißen Brei herumrede, kann man dem Künstler Erez Israeli nicht nachsagen. So nahe dem 1974 in Tel Aviv Geborenen seine Themen sind – insbesondere der Holocaust und die Erinnerungs(un)kultur – so drastisch bringt er sie mitunter seinem Publikum nahe.

Einmal nähte sich Israeli für eine Performance einen Davidstern auf die Haut. Ein anderes Mal ließ er sich drei Monate lang jedes Wochenende den Eintrittsstempel des Berliner Clubs Berghain à la KZ-Kennzeichnung auf den Unterarm tätowieren.

Ganz so körperlich geht es nun in Israelis aktueller Ausstellung in der Galerie Crone Wien zwar nicht zu, dem scharfen Kontrast, ja, dem Schockeffekt bleibt Israeli allerdings treu. Gleich zu Beginn etwa in einer Variation von Hänsel und Gretel, verteilt auf mehrere expressiv bemalte Papierbahnen.

Queerer Kurzschluss

Der Inhalt, salopp nacherzählt: Hänsel und Hänsel (sic!) gehen in den Wald, groß sind ihre Penisse. Sie kommen zu einem Zuckerkuchenhaus, das frappant an das KZ Auschwitz erinnert. Dort werden die jüdischen Buben jedoch nicht Opfer einer Hexe, sondern verbrennen selbige ihrerseits – wobei die Hexe eigentlich ein Soldat mit ebenfalls großem Penis ist.

Worauf Israeli mit diesem queeren Kurzschluss zwischen Kinderzimmer und Konzentrationslager hinauswill? Darauf etwa, dass Märchen nicht so unschuldig sind, wie sie scheinen. Tatsächlich war ja die Sammlung der Gebrüder Grimm angetan, ebenjenen deutschen Volksgeist zu nähren, der später zu solch verheerendem Größenwahn fand. Außerdem sei die Hexe des Märchens, so Israeli, implizit als Jüdin charakterisiert, etwa durch die Nase.

Es ist das Ungeheuerliche im vermeintlich Harmlosen, das der Künstler aufspüren will, wenn er in der Schau bei Crone nun generell auf Märchen fokussiert. Die klare Sonne bringt's an den Tag, heißt sie, nach einem anderen Grimm-Märchen. Es handelt davon, wie der Mord an einem Juden später durch Zutun des Sonnenlichts vergolten werden kann. Und es sei das einzige Märchen der Grimms, so Israeli, in dem ein Jude der "Gute" sei.

Höchstgericht der Vögel

Die titelgebende Arbeit, eine verhältnismäßig subtile, stellt Betrachter vor eine Art Höchstgericht. 36 kitschige, holzgeschnitzte Adler, auf martialisch anmutenden Metallstangen über Kopfhöhe thronend, umringen einen. Günstigstenfalls fühlt man sich leicht bedroht. Durch das attackenartige Arrangement soll hier nämlich eine tieferliegende Bedeutung offenbar werden: War nicht der Adler von jeher ein gängiges Symbol politischer Macht respektive Gewalt? Und ist es da nicht zumindest erstaunlich, dass man ihn heute etwa in Restaurants zu Dekozwecken hinstellt?

Die Methode, die Schleier der Verklärung herunterzureißen, um derlei Fragen aufzuwerfen, ist für Israeli essenziell. So etwa auch im Falle einer kitschigen Hänsel-und-Gretel-Holzschnitzerei, die er auf Ebay fand. Keine unschuldigen Märchenfiguren sah er darin, sondern nur verängstigte Kinder. Um sie als solche kenntlich zu machen, gesellte er ihnen nun einen holzgeschnitzten Jäger bei, der mit dem Gewehr auf sie zielt. (Roman Gerold, Album, 11.3.2017)