Mit der Jourvie-App werden Essprotokolle erstellt.

Foto: Bayer Aspirin Sozialpreis/Bayer Stiftung

Von Essstörungen wie Magersucht, sind vor allem Mädchen in der Pubertät, aber auch Buben im Kindesalter betroffen. Der zwanghafte Wunsch abzunehmen, ist eine kinder- und jugendpsychiatrische Störung, die besonders schwer zu behandeln ist. Häufig führt die Erkrankung zu schwerwiegenden körperliche Schäden und nicht selten auch zum Tod.

Zu den Essstörungen zählt die Magersucht, auch Anorexia nervosa genannt. Ambulante Therapieplätze dafür sind rar: Wartezeiten von weit mehr als drei Monaten sind häufig die Regel.

Hilfe verspricht nun eine speziell entwickelte Smartphone-App mit dem Namen "Jourvie Research". Sie dient Magersüchtigen als Tool, um digital und diskret zu notieren und zu speichern, was sie wann und mit welchem Gefühl gegessen haben. Diese Essprotokolle tragen dazu bei, bestimmte Denkmuster und wiederkehrende Verhaltensmuster im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme besser erkennen zu können.

Hilfe in Krisenfällen

Eine weitere hilfreiche Funktion der App: Sie unterstützt ihre Nutzer in Krisenfällen. Geraten die Erkrankten in eine Situation, auf die sie tendenziell mit gestörtem Essverhalten reagieren würden, schlägt ihnen die App alternative Handlungen vor, beispielsweise Musik hören, lesen oder sich an etwas Schönes erinnern. Ziel ist es, dass die Betroffenen ihr Gewicht erhöhen oder es zumindest halten. Es gilt, ein lebensbedrohliches Ausmaß der Essstörung abzuwenden.

Ob der Einsatz der App tatsächlich zu einer Stabilisierung des Gewichts führen kann, erforschen deutsche Wissenschaftler seit 2016 in der randomisiert-kontrollierten Seltian-Studie. Sie wird an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité in Berlin und dem Johanniter-Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied durchgeführt.

"In der Therapie besprochene Problemlösungen sind in einer Krise schnell vergessen. Was wäre, wenn eine Smartphone-App die Patienten genau dann an ihre Strategien erinnert?", so der Mainzer Psychologe David Kolar, der die Studie konzipiert hat. "In Krisen kann die App die Betroffenen dann auf ihre eigenen Strategien aufmerksam machen. Wir vermuten, dass die Therapie dadurch effektiver wirkt."

Diskrete Protokolle

Die Probandinnen, die an der Studie teilnehmen, erhalten Unterstützung durch die Smartphone-App. In einer Kontrollgruppe kommt das digitale Hilfsmittel nicht zum Einsatz. "Ab einem bestimmten Punkt der Gewichtsabnahme bedürfen die Magersüchtigen einer stationären Behandlung. Wenn es auch dank der App gelänge, deren Anzahl zu verringern, wäre das sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht des Gesundheitssystems sehr zu begrüßen", betont Kolar.

"Bislang füllten die Betroffenen ihre Essprotokolle meist mit Papier und Stift aus. Doch diese analoge Protokollmethode ist nicht sonderlich praktisch und diskret. Smartphone-Apps bieten die großartige Chance, Daten im Alltag der Patienten direkt erfassen zu können", erklärt Michael Huss, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. (idw, red, 10.3.2017)