Eine Kafka-Figur mit äffischem Vorleben nimmt Platz in Samuel Becketts Dämmerwelt: Michael Gruner an seiner schauspielerischen Wirkungsstätte im Hamakom-Theater im Nestroyhof.

Foto: Nathan Spasic

Wien – Den menschenähnlichsten Affen der Welt hat bekanntlich der jüdisch-deutsche Autor Franz Kafka erfunden. Im Bericht an eine Akademie legt Rotpeter, ein äffischer Varietékünstler, Zeugnis ab von den Stationen seiner Selbstdressur. Als vormaliges Tier ist es ihm ein Leichtes, die gelehrten Zuhörer mit Proben seiner eigenen Humanität zu beschämen.

Beschämen will man im Hamakom-Theater auch die Kulturpolitik. Mit zäher Beharrlichkeit hält Intendant Frederic Lion fest am Konzept der Mittelbühne am Wiener Nestroyplatz. Die Doppelproduktion Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen hat am kommenden Dienstag Premiere. Sie stellt – wohlgemerkt: aus künstlerischen Gründen – die reduzierteste aller möglichen Behauptungen dar.

Michael Gruner (72), der große deutsche Regisseur und Intendant, schlüpft als Schauspieler in die Rolle des Affen Rotpeter. Damit nicht genug, verwandelt Gruner sich nach der Pause in die Samuel-Beckett-Figur Krapp. Als alter, vereinsamter Mann wird er in Das letzte Band (1958) Bananen verzehren. Er wird Tonbändern lauschen, auf denen der mittelalte Krapp des Springinsfelds gleichen Namens gedenkt. Eine szenische Echokammer der Moderne. Sie besitzt den unbedingten Vorzug, keine exorbitanten Produktionskosten aufzuwerfen.

Die Lage ist ernst im Hamakom. Lion spricht von an die 300.000 Euro, die ihm für eine adäquate Bespielung der Bühne fehlen. Ab Herbst soll das Brut-Theater als Mieter in das Gebäude einzie- hen. Eine Regiearbeit von Ingrid Lang wird auf das Kafka-Beckett-Doppel folgen. Die Stimmung vor Ort ist nicht unbedingt lebensmüde. Sie fühlt sich lediglich endzeitlich an.

Wiederkehr als Mime

Gruners Comeback als Schauspieler zählt zu den kleinen raren Wundern in der Wiener Bühnenlandschaft. Als Regisseur gehörte der introvertierte Vogtländer während vieler Jahre der Spielklasse eines Luc Bondy an. Noch früher, in der Aufbruchsphase des bundesrepublikanischen Theaters, war er Schauspieler. Im Theater am Turm wirkte er 1966 z. B. an der Uraufführung von Handkes Publikumsbeschimpfung mit.

Heute setzt sich Gruner zu Studienzwecken schon einmal vor den Affenkäfig im Schönbrunner Tiergarten. Seine Doppelaufgabe komme ihm vor "wie Sisyphos und Harakiri auf einmal". Als Mime überzeugte er letzthin als jüdischer Überlebenskünstler in Robert Schindels Anschlussdrama Dunkelstein. Gruner hat Blut geleckt. Das Spielen, sagt er, sei ihm "eine reine Freude". Er müsse nur hineinkommen, "ins Spielen. Sonst ist es bloß eine Knochenarbeit wie jede andere."

Regisseur Lion skizziert in knappen Strichen das Konzept der Produktion. Die Assimilationsleistung des Affen Rotpeter erinnere natürlich an das Los der jüdischen Gemeinden in Europa. "Assimilation wird immer unter Schmerzen vollzogen. Zugleich schöpft man aus dem Zustand der Entfremdung auch ungeahnte Kräfte." Er, der gelernte Schweizer Lion, habe das an seinem Vater beobachtet: "Ich sah als Jugendlicher, der mit sich identisch war, bei der Elterngeneration einen seltsamen ,Film' des Schmerzes. Am Werk waren die Mechanismen der Überanpassung."

Unausgesetzte Entfremdung

Gruner sekundiert vorsichtig: "Jedes Baby beginnt damit, null angepasst zu sein. Kafka fragt eher: Produziert das Leben nicht unausgesetzt Entfremdung? Die ist uns menschlich aufgegeben." Diktierte Assimilation sei dagegen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Davon können alle Migranten ein Lied singen.

Als Greis Krapp schwelgt Gruner in der aasigsten Daseinsfreude. Nichts geht mehr. Sogar die Bananen sind gesundheitsschädlich. Aber es ist der Mühe wert gewesen. "Es ist eine solche Freude, Gruner als Darsteller zu haben", sagt Lion. "Man findet heute doch nur noch Schauspieler, denen gepredigt wird: Sei ein offenes Buch! Sie kommen auf die erste Leseprobe, und der Regisseur darf auf ihnen schreiben, wie es ihm beliebt. Das Denken? Wird ausgeschaltet."

Aus einem Affen wird ein unmanierlicher Greis namens Krapp, der es noch einmal wissen will. Eine Provokation, weil Jugend heutzutage einen Wert an sich darstellt. Gruner grinst: "Es geht mit Krapp darum, einen sinnvollen Zustand des Alterns zu erreichen." Weil sonst ...? "Geht die Rente verloren!" (Ronald Pohl, 13.3.2017)