Es ist noch keine 30 Jahre her, dass in Südkorea die ersten freien Wahlen stattgefunden haben. Seither hat das Land einen enormen Wandel durchgemacht – wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch: Südkorea ist binnen kürzester Zeit zu einer weltweit führenden Wirtschafts- und Technologienation aufgestiegen. Aus einer konfuzianisch und kollektivistisch geprägten ist eine westlich-individualistische Gesellschaft geworden. Demokratie und Rechtsstaat sind in Seoul inzwischen so stark, dass Präsidenten abgesetzt und übermächtige Industriekonglomerate von einer furchtlosen Justiz angegangen werden.

Fast könnte man meinen, trotz des aktuellen Aufruhrs sei alles in Ordnung in Korea – wären da nicht die mitunter explosiven Brüder nördlich des 38. Breitengrades.

Die politische Katharsis mag für die demokratischen Verhältnisse in Seoul heilsam sein, die ohnehin instabile Lage auf der Halbinsel macht sie unberechenbarer. Nordkoreas "Oberster Führer" Kim Jong-un, dessen einziger Trumpf Nuklearwaffen sind, wird daraus politisches Kapital schlagen wollen. Ein defensives, aber bestimmtes Auftreten gegen seine Diktatur – etwa durch ein US-Raketenabwehrsystem – könnte schwieriger werden. Der Druck auf China, endlich echten Einfluss auf Pjöngjang zu nehmen, würde abnehmen. Das wäre schade. Denn die "Sonnenschein-Politik" gegenüber Nordkorea ist gescheitert. Nur Dauerregen aus Peking könnte Kim aus dem Amt spülen. (Christoph Prantner, 10.3.2017)