Was sich im Gehirn abspielt, nachdem das Herz aufgehört hat zu schlagen, ist noch weitgehend unerforscht.

Illustr.: Archiv/red

London – Kanadische Mediziner haben es auf einer Intensivstation mit außergewöhnlichen Fällen zu tun bekommen: Als die Lebenserhaltungsapparate von vier Patienten abgeschaltet werden mussten, zeigte einer davon noch lange Zeit nach der Feststellung des klinischen Todes Gehirnaktivität: Bis zehn Minuten und 38 Sekunden nachdem das Ableben der Person durch eine ganze Reihe von Maßnahmen bestätigt worden war, erschienen auf dem Monitor Gehirnwellen, die normalerweise nur im Tiefschlaf auftreten.

"Bei dieser einen Person erschienen die Delta-Wellen zu einem Zeitpunkt, als weder der Herzschlag, noch ein arterieller Blutdruck nachgewiesen werden konnten", berichtete das Team von der University of Western Ontario im kanadischen London. Außerdem lässt der Vergleich mit den übrigen drei Patienten vermuten, dass der Tod eine sehr individuelle Erfahrung sein dürfte: Die Elektroenzephalogramme (EEG), die die Gehirnaktivität aller vier Personen wiedergaben, zeigten nach dem Eintritt des Todes untereinander nur sehr geringe Ähnlichkeiten.

Keine biologische Erklärung...

Was die Interpretation der Beobachtungen betrifft, hielten sich die Forscher ziemlich zurück. Vorerst sei es noch viel zu früh, um sich ein Urteil darüber zu bilden, was das für die postmortalen Erfahrungen bedeuten könnte, hieß es. Da es keinerlei biologische Erklärung für die minutenlange Gehirnaktivität nach der Feststellung des Todes gibt, wollen die Wissenschafter einstweilen Fehler beim Scan der Gehirnwellen nicht ausschließen.

Welche Art von Fehler das allerdings sein sollten, scheint noch völlig unklar. Keines der verwendeten medizinischen Geräte zeigte Anzeichen einer Fehlfunktion, berichten die Forscher um Loretta Norton im "Canadian Journal of Neurological Sciences".

...und keine "Todeswellen"

Noch rätselhafter wurden diese Fälle, als die Wissenschafter im EEG nach sogenannten "Todeswellen" Ausschau hielt. Derartige Ausbrüche von Gehirnaktivität konnten 2011 bei einer Reihe von Versuchen mit Ratten stets rund eine Minute nach deren Tod aufgezeichnet werden.

"Wir gehen davon aus, dass dieses letzte neurologische Aufbäumen die Grenze zwischen Leben und Tod darstellt", schrieben die Forscher von der niederländischen Radboud University damals im Fachjournal "Plos One". Das kanadische Team konnte bei seinen vier Patienten allerdings keinerlei Hinweise auf derartige "Todeswellen" entdecken.

Gesteigerte Genaktivität

All das verdeutlicht nur, wie viel es auf dem Gebiet der Nekroneurowissenschaft noch zu untersuchen gibt und wie wenig bisher über die zerebralen Vorgänge rund um den Todeszeitpunkt bekannt ist. Auch die anhaltende Genaktivität nach dem Ableben stellt die Experten vor große Rätsel: In zwei im Vorjahr veröffentlichten Arbeiten haben Wissenschafter nachgewiesen, dass noch mehrere Tage nach dem Tode eines Menschen über 1.000 Gene nicht nur weiterhin aktiv sind, sondern ihre Aktivität sogar noch gesteigert haben. (tberg, 12.3.2017)