Vom Recht aufs Glück, in der Fabrik und in der Blumenwiese: Jochen (Gottfried John) und Marion (Hanna Schygulla), das Liebespaar aus Rainer Werner Fassbinders "Acht Stunden sind kein Tag".

Foto: Studiocanal / Fassbinder Foundation

Wien – Die Idee einer Fernsehserie, die sich dem Alltag von Arbeitern verschreibt, darf an sich schon als mutig gelten. Wer wie der WDR-Redakteur Peter Märthesheimer dafür einen ungestümen, antiautoritär gesinnten Regisseur wie Rainer Werner Fassbinder auswählt und durchsetzt, muss wohl auch ein wenig verwegen sein. 1972 war dafür ein guter Moment, der Mai 1968 in den Köpfen noch sehr lebendig. Eine neue Generation an Fernsehmachern wollte Zuschauerschichten direkter einbinden und sich mit der Lebensrealität eines bisher kaum repräsentierten Teils der bundesdeutschen Bevölkerung befassen.

Das Ergebnis war Acht Stunden sind kein Tag, eine fünfteilige Serie (eigentlich waren acht Episoden geplant), die TV-Geschichte schrieb. Die Gründe dafür sind zahlreich – der einschlagende Erfolg mitsamt lautstarker Kontroverse ("Kommt jetzt der Proll-Schick?", titelten Zeitungen) nur einer davon. Fassbinders Coup war die sublime Eroberung des Soap-Opera-Formats, das er mit provokanten Fragestellungen und Themen repolitisierte. Statt Eskapismus, der Flucht vor der Realität aufs Sofa, wurde der "negative Familientisch", wie der Philosoph Günther Anders die Mattscheibe nannte, plötzlich brisant und gegenwärtig.

Diesen Februar stellte die restaurierte Fassung von Acht Stunden sind kein Tag auf der Berlinale manch aktuelles Werk in den Schatten – nun ist die Serie auf DVD/Blu-Ray (Studiocanal) erhältlich. Fassbinders Verquickung von Politischem und Privatem bleibt für heutige Verhältnisse bemerkenswert. Einerseits erzählt er konsequent von den Selbstfindungs- und Verdrängungsmustern eines erweiterten kleinbürgerlichen Familienverbunds in Köln; andererseits dringt er mit Jochen (Gottfried John), der zentralen Figur eines Werkzeugmachers, zu den inneren Machtkämpfen von Fabrikarbeitern vor.

Weibliche Erkenntnishilfe

Die Themen, die in den jeweils rund 100 Minuten langen Episoden behandelt werden, sind breit gefächert. Die jüngere pocht gemeinsam mit der ältesten Generation auf ihr Recht auf individuelles Glück – die wilde Oma besetzt Fassbinder in einem seiner typischen Umkehrmanöver mit Luise Ullrich, einem Star der 30er-Jahre. Hanna Schygullas Marion, die mit Jochen anbandelt, der Beginn einer ergreifend aufrichtigen Liebe, wird als jene Instanz inszeniert, die den manchmal auf der Leitung stehenden Männern zu politischen Einsichten verhilft.

Stilistisch wählt Fassbinder eine Perspektive, die den Realismus ins Künstliche überhöht – und damit mehr Übersicht erlaubt. Die Sympathien sind klar verteilt, doch es bleibt Raum für Zwischentöne. Wenn das Arbeiterkollektiv gegen den Widerstand von oben etwas durchzusetzen versucht, scheut die Serie nicht davor zurück, den Rassismus gegenüber Gastarbeitern zu streifen. Solidarität zu zeigen bedeutet eben nicht, Widersprüche zu umgehen. Dass Fassbinder die kleinen Utopien, die glückliche Wende präferiert, geschieht mit Kalkül. Veränderung bleibt immer ein Ausweg.

Acht Stunden sind kein Tag versucht vorzuleben, dass es keinen Unterschied zwischen privat und öffentlich gibt, etwa zwischen Selbstbestimmung und Wohnungssuche, solange es um das Ethos des Handelns geht. Flexible Zeiteinteilung in der Fabrik – noch so ein Verweis auf die Zukunft – oder ein Kindergartenprojekt, für beides braucht es eine gemeinsame Aktion.

Es ist verblüffend, wie viele relevante Fragen Fassbinder berührt – auf die komischen und lyrischen Momente des Seriendramas vergisst er deshalb nicht; auf Momente des Glücks, der Ausgelassenheit, der Musik und des gemeinsamen Besäufnisses. All das macht deutlich, woran es heute mangelt: dem Mut für eine Serie über "einfache Menschen" – mit dem klaren Anliegen, die einfachen Antworten zu umgehen. (Dominik Kamalzadeh, 11.3.2017)