Regisseur Florian Baxmeyer setzt auf psychologische Einfühlung.

Foto: ARD/Radio Bremen

20 Jahre im Dienst, aber immer noch zu einer menschlichen Reaktion fähig: Als Kommissarin Lürsen (Sabine Postel) und ihr Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) frühmorgens einen Blick auf den übel zugerichteten jungen Mann auf der Straße werfen, wenden sie angewidert das Gesicht ab.

Das Mordopfer wurde gleich mehrfach überfahren, einzige Spur: ein Handy am Tatort, das einem Mann namens Kristian Friedland (Moritz Führmann) gehört. Beim Verhör überrascht dieser mit seiner sanften Stimme; ein Hamlet, der meint, dass ihm die Welt ein Rätsel ist.

Nun könnte man einfach sagen: Fall gelöst. Doch Nachtsicht, der Tatort am Sonntag aus Bremen, muss noch weitere rund 85 Minuten Sendezeit füllen. Was bedeutet, dass uns die Autoren Matthias Tuchmann und Stefanie Veith das nicht gerade ausgeglichene Innenleben von Familie Friedland detaillierter vor Augen führen.

Ein Psycho-Wimmelbild, mit einer an David Cronenbergs Filme erinnernden Fixierung auf körperliche und seelische Amputationen. Der Vater (Rainer Bock) pflegt die einbeinige und krebskranke Mutter (Angela Roy) mit Hingabe, strenger dagegen sein Regiment gegenüber dem Sohn, der schon früher aus dem Tritt geraten ist – und nun überdies eine Frau im Rollstuhl zu umsorgen hat.

Prothesen kommen in diesem heillos überladenen Tatort so auch besondere Aufmerksamkeit zu. Doch statt das ohnehin schon schundig-triviale Geschehen spitz und grell zu überzeichnen, setzt Regisseur Florian Baxmeyer auf psychologische Einfühlung. Das kann trotz fabelhaften Casts nur schiefgehen. Lürsen und Stedefreund haben hier übrigens nur Beobachterrollen. Ab 2019 sind sie dann dienstfrei gestellt. (Dominik Kamalzadeh, 11.3.2017)