Südkoreas Konzern Lotte (hier ein Shop im ostchinesischen Hangzhou) wurde von Peking zum Sündenbock gestempelt.

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Aufpasser mit Armbinden lungern neben dem Pekinger Supermarkt des südkoreanischen Mischkonzerns Lotte herum. Ihm gehören in China 115 Lebensmittel- und Kosmetikgeschäfte, 20 darunter in der Hauptstadt. Schon der Versuch, den Laden zu fotografieren, bringt den Sicherheitsdienst auf Trab. Die Nerven liegen blank. Der "Lotte-Mart" liegt im Untergeschoß des Pekinger Einkaufszentrums U-Townmall direkt gegenüber dem Außenministerium. Hier darf auf keinen Fall etwas passieren.

In anderen Teilen Pekings gab es Proteste, im Vorort Changping wurde gerade ein Shop geschlossen. Südkoreas fünftgrößte Wirtschaftsgruppe Lotte hat seit 1994 in China massiv in Einzelhandel, Tourismus und Immobilien investiert und beschäftigt 20.000 Mitarbeiter. Nun ist sie zum Kollateralopfer im eskalierenden Streit zwischen Peking und Seoul um die begonnene Aufstellung des US-Raketenabwehrsystems Thaad geworden. Es soll nordkoreanische Raketen abfangen, wenn der unberechenbare Diktator Kim Jong-un sie auf Seoul schießen sollte. Die Thaad-Radarsysteme sehen aber 2000 Kilometer weit auch nach China hinein, dort, wo Peking sein strategisches Raketenarsenal aufgestellt hat: Deshalb wirft China den USA und Südkorea vor, damit sein Abschreckungspotenzial zu entwerten.

Kesseltreiben

Seitdem Südkorea im Juli den Plan zur Thaad-Stationierung auf die Tagesordnung setzt, hat Peking seinen Druck auf den Nachbarn mit einer Reihe von Maßnahmen verschärft. Die beliebten südkoreanischen TV-Shows und Auftritte der Sänger der K-Pop-Star-Castingshow wurden abgesetzt. Der Import populärer Kosmetik vom Zoll aufgehalten. Christliche Missionare in Chinas Grenzregion Yanji plötzlich ausgewiesen. Ab Mitte März will Peking den Gruppentourismus stoppen. 2016 stellten Chinesen fast die Hälfte der 17,2 Millionen Ausländer, die Südkorea besuchten.

Gegen Lotte aber startete ein regelrechtes Kesseltreiben. So inspizierte die Feuerwehr ihre Läden – und befand mehr als 20 Geschäfte als nicht brandsicher. Bislang sollen 55 der 99 Supermärkte und Kosmetikshops von Lotte nach Angaben der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap vorläufig geschlossen worden sein. Andere erhalten absurd hohe Geldstrafen, wie ein Geschäft im Pekinger Chaoyang-Distrikt. Es musste jetzt eine halbe Million Yuan (70.000 Euro) zahlen, weil es seine Kunden mit falschen Sonderangeboten betrogen haben soll.

Auch das Schokoladen-Jointventure zwischen Lotte und dem US-Süßwarenhersteller Hershey wurde wegen "Sicherheitsproblemen" vorläufig geschlossen. Dem Konzern gehörte ein Golfplatz, auf dessen Boden nunmehr das Raketen-Abwehrsystem installiert wird. Laut einer am Sonntag präsentierten Umfrage des Internationalen Handelsverbands in Seoul unter 597 Firmen, die mit China Geschäfte machen, gab mehr als die Hälfte an, von der Anti-Thaad-Kampagne "negativ betroffen" zu sein. Diese ist ein Präzedenzfall dafür, wie sehr Peking seine politischen und wirtschaftlichen Muskeln einzusetzen bereit ist, um andere Staaten unter Druck zu setzen. Wie weit sich Peking nach dem erfolgreichen Impeachment der Ex-Präsidentin Park Geun-Hye bei den kommenden Neuwahlen in Südkorea einzumischen versucht, wird sich noch zeigen. (Johnny Erling aus Peking, 13.3.2017)