Gefüllte Kalbsbrust mundet Werner Grissmann, der hier mit Schwiegersohn Benjamin Karl posiert, besonders gut.

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11. Februar 1973: Werner Grissmann rast in St. Moritz zum einzigen Weltcupsieg. Bekannter war der Lienzer für seine Niederlagen. Er stand aber immerhin elfmal auf dem Podest.

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Ein Klassiker: mit Franz Klammer für das Quiz der Sporthilfe.

Fred Reinisch

Wien/Lienz – "Einen Schmäh hat man, oder man hat ihn eben nicht. Lustig muss es sein", sagt Werner Grissmann. Und lustig war es immer. Zum Beispiel als sich Grissmann seinerzeit, es begab sich im Jahr 1981, vor einem Rennen eine Rakete auf den Buckel geschnallt hatte. "Damit ich schneller bin." Der Schmäh war bei Grissmann nie gekünstelt. Nach der öffentlichen Ernennung zum "Zwischenzeitweltmeister" ist er ihm auch nicht ausgegangen. Keine Spur von Kränkung als ewiger Zweiter. Sei’s drum. "Solange du von Niederlagen mehr profitierst als andere von Siegen, ist es besser, du verlierst. Diesen Titel kann mir keiner mehr nehmen", sagt Grissmann zum STANDARD.

In den 1970er-Jahren war Werner Grissmann einer der besten Abfahrer der Welt. Gewonnen hat er aber nur einziges Weltcuprennen, 1973 in St. Moritz. Davor und danach holte er sehr viele zweite oder dritte Plätze, "12 bis 15 bei großen Rennen". Der 65-Jährige ist heute noch immer dabei – vor dem Fernseher. Mit Begeisterung schaute er sich die Vollendung von Marcel Hirscher zum sechsfachen Gesamtweltcupsieger an. Zu Grissmanns Zeit war das Skifahren im Weltcup noch eine Hetz. Heute sei es nur noch eine Hetzerei. "Damals war der Weltcup ein Zirkus, und ich war der Clown. Heute sind die Skifahrer unnahbar, das Geschäft ist sehr ernst geworden. Die Burschen gehen ja in den Keller lachen."

Viele Leben

Den "Grizzly" in einem Satz zu charakterisieren? Ungefähr so leicht, wie in alle vier Himmelsrichtungen gleichzeitig zu laufen. Die vielen Leben des Osttirolers abseits der Piste: Rallyepilot, Buchautor, Event-Erfinder, Radiomacher, Rauchfangkehrer. Die große Liebe war das Skifahren.

Grissmann, in seiner aktiven Zeit bei 1,83 Meter Körpergröße schon ein ordentliches Bröckerl, war "vielleicht nicht der Fitteste", eher ein Sprintertyp. Bei Rennen, die länger als zwei Minuten dauerten, "bin ich oft früh eingegangen. Franz Klammer, der böse Hund, war so gut trainiert, dass er unten noch zulegen konnte."

Leider unvergesslich bleibt der 23. Jänner 1970: Grissmann gab in Megève, Frankreich, sein Abfahrtsdebüt. "Ein Fehler des ÖSV". Megève galt als schwerste Strecke im Weltcup, 1975 wurde sie aus dem Kalender gestrichen. "Sie hätten mich auf der leichteren Strecke in Val d’Isère ins kalte Wasser werfen sollen." Grissmann stürzte schwer, brach durch einen Holzzaun, erlitt dabei einen Beckenbruch, eine leichte Gesichtslähmung ist ihm bis heute geblieben. In einem Kombi war Grissmann auf einer Luftmatratze von Megève nach Liezen überstellt worden. Er hätte eigentlich mit dem Hubschrauber abtransportiert werden sollen. Der wurde aber wenig später für den 20-jährigen Michel Bozon gebraucht. Der Franzose flog durch das von Grissmann verursachte Loch im Zaun, prallte an einen Baum und erlag Stunden später seinen Verletzungen. "Ein Riesenpech."

Erfolgsautor "Grizzly"

Grissmann brauchte danach lange, um wieder Vertrauen zu fassen. "Die Brezn hat mir die besten Jahre meiner Karriere gekostet, damit hatte ich nicht gerechnet. Ein harter Weg zurück." 1978 holte Grissmann WM-Abfahrtsbronze in Garmisch, seine erste und einzige Medaille. 1982 beendete er seine Karriere, im selben Jahr kam Sohn Nikolaus zur Welt, erschien auch sein Buch "Wer sagt, die Vögel sterben aus?". Das Buch war ein "Gag", in der einzigen Auflage wurden alle 30.000 Stück verkauft. "Ein Grissmann wiederholt sich nicht. Und Weltmeister wird er auch nicht, weil er noch ein Buch schreibt."

Immerhin, Franz Klammer hat er ein Stück weit zu seinem Weltruhm verholfen. "Der Kaiser" hatte zu seinem ersten Europacup-Rennen in Bad Kleinkirchheim nur eine Loden-Skihose dabei. "Hätte ich dem Franz nicht einen meiner Rennanzüge geborgt, wer weiß, ob er so erfolgreich geworden wäre." Olympiasieger wurde Grissmann nicht, dafür erfand der Osttiroler nach einer depressiven Phase, die mit seinem Karriereende einherging, und einem Abstecher in den Rallyesport – Platz fünf bei der Rallye Sanremo war sein bestes Ergebnis – den Dolomitenmann. Der "härteste Ausdauerbewerb unter der Sonne" feiert am 9. September sein 30-jähriges Jubiläum.

Geträumt hat Grissmann vom größten Freiluftstadion der Welt. Geworden ist es ein Teamwettbewerb für Extremsportler, der Berglauf, Paragleiten, Wildwasserkajak und Mountainbiken vereint. 1988 war die Feuertaufe, begonnen hat der Dolomitenmann mit 40 Teams, heute könnten es mehr als 300 sein, das ginge sich aber mit der Sicherheit der Sportler nicht mehr aus. Wobei es zu Beginn sicherheitstechnisch so oder so eine gewagte Partie war. Die Paragleiter seien damals quasi mit "zwei Schnäuztücheln" geflogen. Mountainbikes gab es Ende der 1980er noch nicht, nur Querfeldein-Räder. "Die hat es öfter zerrissen. Wer aber im Ziel einen Lenker oder eine Felge dabei hatte, wurde gewertet."

Nur keine Frauen

Kommt man da als Organisator selbst unter Druck, sportlich fit zu sein? "Schau mich an. Nein. Ich habe das für Leute erfunden, die sich gerne quälen, nicht für mich. So einer war ich nie." Nicht quälen dürfen sich Frauen. Bis heute nimmt der Dolomitenmann seinen Eventnamen wörtlich. "Ich darf auch nicht beim Synchronschwimmen mitmachen", sagt Grissmann. Zu hart sei der Bewerb – zu extrem. "Frauen fahren auch nicht die Streif runter." Werner Grissmann bringt mittlerweile 125 Kilogramm auf die Waage, und ja, "20 Kilo weniger wären nicht schlecht". Die Lieblingsspeise ist gefüllte Kalbsbrust – auch in der Fastenzeit.

Grissmann hat nach seiner Skikarriere den Rauchfangkehrerbetrieb vom Vater in Lienz übernommen. Frau Sandra ist seit 37 Jahren an seiner Seite, Tochter Nina mit Snowboard-Weltmeister Benjamin Karl verheiratet. Eine der zwei Enkelinnen frug den Opa kürzlich: "Warst du einmal ein Prinz?" – "Ja", sagte Werner Grissmann, worauf sie antwortete: "Davon sieht man heute aber nicht mehr viel." Der Familienmensch Grissmann hat sich seine gefährlichen Hobbys abgewöhnt. Ins Guinness-Buch der Rekorde ist er einmal gerast. Gemeinsam mit Horst Felbermair und Franz Doppler fuhr Grissmann mit einem Porsche 6.175 Kilometer in 24 Stunden – inklusive Tankstopps bedeutete das eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 267,5 km/h.

Zwei Ganzjahresjobs

Golf spielen geht er heute manchmal noch, wenn ihm die Knie nicht wehtun. Drei Meniskusoperationen hat Grissmann hinter sich. Seit geraumer Zeit muss er Pulver schlucken, "da nimmst du erst recht wieder zu". Die Pension ist für Grissmann noch kein Thema, er hat noch den Betrieb mit drei Mitarbeitern, der Dolomitenmann ist auch Ganzjahresarbeit.

Eine Idee geistert Grissmann noch im Kopf herum, der "Monaco Man". Es gibt ein fertiges Veranstaltungskonzept, gute Gespräche mit Fürst Albert II., nur das grüne Licht von Dietrich Mateschitz fehlt noch. Einmal fand der Dolomitenmann schon im Ausland statt, 2005 in Kapstadt. Bei 42 Grad am Tafelberg habe selbst Jonathan Wyatt, der mehrfache Berglaufweltmeister, "wie ein Uhu nach einem Waldbrand dreingeschaut". So auf Achse wie früher ist Werner Grissmann längst nicht mehr. Es wartete noch Arbeit in der Firma. Zu Mittag gab es Kraut mit warmem Speck, eine Osttiroler Spezialität. "Damit komme ich schon über den Tag." (Florian Vetter, 14.3.2017)