STANDARD: Hat die niederländische Regierung mit ihren Einreiseverboten für Minister dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdoğan entschlossen die Stirn geboten, oder ist sie dessen Provokation auf den Leim gegangen?

Schout: Darüber wird gerade viel diskutiert. Einige Kommentatoren halten das Vorgehen der Regierung für zu harsch, weil die Niederlande immer auf diplomatische Zurückhaltung bedacht waren. Als Handelsnation sind wir traditionell tolerant, eben auch gegenüber Ländern wie China und Russland. Ich bin mir nicht sicher, ob die türkische Regierung wirklich damit gerechnet hat, dass die Niederlande dem Flugzeug (des türkischen Außenministers, Anm.) die Landung verwehren würden. Dass man in Den Haag erst durch CNN von den Sanktionsdrohungen erfuhr, während man noch nach Lösungen suchte, war dann zu viel der Provokation. Wahrscheinlich haben aber beide Seiten die Auswirkungen unterschätzt.

Angespannte Situation am Samstagabend in Rotterdam.
Foto: AFP PHOTO / EMMANUEL DUNAND

STANDARD: Wie argumentiert man vonseiten der Niederlande?

Schout: Der Regierung ging es um die öffentliche Sicherheit. Die Situation hätte angesichts der großen türkischen Minderheit im Land und der vermutlich knapp zwanzig Prozent Wähler von Geert Wilders sehr heikel werden können. Wäre es, so wie befürchtet, zu Zusammenstößen zwischen Niederländern türkischer Herkunft und Rechtsextremen gekommen, wäre das Land vor einem riesigen Problem gestanden. So, wie sich die Sache dann entwickelte, hat sie aber wiederum vermutlich die nationalistischen Gefühle vieler Türken angestachelt, von Leuten also, die man eigentlich in die niederländische Gesellschaft integrieren möchte. In so einer Krise gibt es nur Verlierer.

Premier Rutte konnte nicht anders reagieren, sagt Forscher Schout.
Foto: AFP PHOTO / ANP / Bas Czerwinski

STANDARD: Welche Rolle spielte der Umstand, dass auch in den Niederlanden in Bälde gewählt wird und die Rechtspopulisten in Umfragen voranliegen?

Schout: Das ist sehr schwer abzuschätzen. Natürlich mag der Wahlkampf eine Rolle gespielt haben, in der Politik ist aber jeder Tag ein Wahltag. Das heißt, dass meiner Einschätzung nach die Sache vor einem Jahr genauso abgelaufen wäre. Auch deshalb, weil die Regierung in meinen Augen nach den Drohungen und Provokationen kaum anders hätte handeln können. Natürlich dürfte ihr die Entscheidung angesichts von Meinungsfreiheit und Rechtsstaat nicht leichtgefallen sein. Ob Ministerpräsident Mark Rutte davon profitiert, ist ebenso fraglich, weil im Fall dieser Krise ohnehin alle Parteien der Linie der Regierung folgen.

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Berittene Polizei schützt die Residenz des türkischen Konsuls in Rotterdam.
Foto: AP Photo/Peter Dejong

STANDARD: Wie ernst nimmt man die Sanktionsdrohungen aus Ankara?

Schout: Zunächst ist ja noch unsicher, ob es überhaupt Sanktionen geben wird. Die Türkei hat in der Vergangenheit schon sehr oft damit gedroht, aber nie irgendetwas davon umgesetzt. Die Affäre rund um den deutschen Komödianten Jan Böhmermann und die Verhaftungen europäischer Journalisten in der Türkei waren ebenfalls Provokationen. Wenn die Türkei tatsächlich Wirtschaftssanktionen gegen die Niederlande verhängt, wird interessant zu beobachten sein, wie die EU auf so eine unilaterale Bestrafung reagiert. Die Niederlande alleine können sich dagegen kaum wehren.

STANDARD: Wie ist die Situation der türkischen Einwanderer in den Niederlanden?

Schout: Bis vor wenigen Jahren wurden sie als vergleichsweise gut integrierte Gruppe betrachtet, die im Gegensatz zu der marokkanischen Minderheit wenig Grund zur Sorge bereitete. Die Zahl der türkischen Demonstranten war jetzt eigentlich nicht besonders groß und auch stark auf Rotterdam und Amsterdam beschränkt. Von einem kraftvollen Protest war keine Spur. (Florian Niederndorfer, 13.3.2017)