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Die definitive Entscheidung der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon für ein zweites Referendum wurde mit Spannung erwartet.

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Den Wunsch nach Unabhängigkeit kann man auf verschiedene Arten zum Ausdruck bringen.

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Wenige Stunden vor wichtigen Abstimmungen im Londoner Parlament hat am Montag eine dramatische Intervention aus Edinburgh die Gefahren der britischen Brexit-Politik verdeutlicht. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP kündigte konkrete Schritte für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum an.

Es gehe dabei nicht nur um das zukünftige Verhältnis zu Europa, sondern auch um "die Art von Gesellschaft, die wir sein wollen". Premierministerin Theresa May will nach der Zustimmung des Parlaments bis Ende des Monats den EU-Austritt einleiten.

Sturgeons Plan verurteilte die Konservative als "zutiefst bedauerlichen Tunnelblick der Nationalisten": Die Volksabstimmung im Norden werde "gewaltige ökonomische Unsicherheit" verursachen.

Das Londoner Unterhaus musste sich am Montagnachmittag erneut mit dem Brexit-Austrittsgesetz der Regierung befassen. Die Sitzung war nötig geworden, weil das Oberhaus mit seiner Oppositions-Mehrheit die aus zwei Paragraphen bestehende Ermächtigung der Volksvertreter für die Premierministerin um zwei Anliegen ergänzt hatte: Erstens müsse die Regierung die fortdauernden Rechte der gut drei Millionen EU-Bürger auf der Insel garantieren, zweitens solle das Parlament rechtzeitig und bindend über das Verhandlungsergebnis mit Brüssel abstimmen dürfen.

Brexit-Minister David Davis sagte eine rasche Lösung für die EU-Bürger zu sowie eine aussagekräftige Abstimmung zu, argumentierte aber, die Parlamentarier dürften "nicht der Regierung die Hände binden". Dieser Logik folgte das Unterhaus und wies die Änderungsvorschläge der Lords mit jeweils deutlicher Mehrheit zurück. Danach war die bis in den späten Abend folgende neuerliche Beratung des Oberhauses nur Formsache: Auch die Lords stimmten für das Brexit-Gesetz.

Erklärung von May

Das Gesetz soll bis Dienstagmittag die formale Zustimmung der Königin erhalten. Nachmittags gibt May eine Regierungserklärung zum jüngsten EU-Gipfel ab. Den Austritt nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages will sie nach Angaben einer Sprecherin aber nicht mehr diese Woche verkünden. Da die Union am 25. März den 60. Jahrestag der Römischen Verträge feiert, dürfte sich die offizielle Austrittserklärung bis in die letzte Märzwoche verzögern.

Die schottische Nationalistin Sturgeon hat den Londoner Schwebezustand geschickt zu einer eigenen Initiative genutzt. Seit Grossbritannien im vergangenen Juni knapp (52:48 Prozent) für den Brexit votierte, während 62 Prozent der Schotten in der EU verbleiben wollten, hat die selbstbewusste Edinburgher Regierungschefin die Tory-Regierung zu Kompromissen gedrängt.

Sturgeon strebt für den britischen Norden ein Sondermodell an, wie es vage auch Nordirland in Aussicht gestellt wird. Doch sei sie an "einer Mauer der Unnachgiebigkeit" abgeprallt, beklagte die 46jährige.

Damit Schottland eine echte Wahl habe, will Sturgeon kommende Woche im Edinburgher Parlament ein Gesetz über ein zweites Unabhängigkeitsvotum nach dem 2014 klar verlorenen (55:45 Prozent) Urnengang in die Wege leiten.

Um dessen rechtliche Verbindlichkeit zu sichern, muss Westminster zustimmen. Dass die Konservativen dies verweigern, gilt als unwahrscheinlich. Allerdings dürfte die May-Regierung versuchen, das Referendum auf die Zeit nach dem Ende der Brexit-Verhandlungen, also nach März 2019, hinauszuschieben.

Dann wäre deutlich, ob es wirklich zu dem "harten Brexit" samt Austritt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion der Europäischen Union kommt, gegen den sich Sturgeon so vehement stemmt.

Ohne Absprache aus der EU

Hingegen definiert das Weißbuch der Regierung diesen Schritt als Ziel der Verhandlungen. Zusätzlich sprechen May und Davis ausdrücklich von der Möglichkeit, die Insel könnte im Frühjahr 2019 ohne bindende Absprache aus der EU fallen. Handel mit dem Binnenmarkt müsste dann nach dem Reglement der Welthandelsorganisation WTO erfolgen, was "ein Rezept für Chaos an mehreren Fronten" wäre, wie Carolyn Fairbairn vom Unternehmerverband CBI glaubt. (Sebastian Borger, 13.3.2017)