Erwin Buchinger weiß, dass der Weg noch ein sehr weiter ist.

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STANDARD: Sind Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung im österreichischen Sport integriert?

Buchinger: Nein, in meinen Augen sind sie noch nicht wirklich integriert. Der österreichische Behindertensportverband unternimmt große Anstrengungen, um Trainingsmöglichkeiten zu schaffen. Aber speziell beim Thema Inklusion könnten wir weiter sein. Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sind auf den Sportplätzen kaum sichtbar, das Training läuft oft gesondert ab. Ultimatives Ziel muss sein, Olympische Spiele, Paralympics und Special Olympics an einem Ort zum selben Termin zu veranstalten. Logistische Gründe werden als Einwände angeführt. Ich glaube trotzdem, dass es möglich ist. Das sage ich aber aus der Ferne.

STANDARD: Welche Sportarten kann jemand mit intellektueller Beeinträchtigung ausüben?

Buchinger: Alle. Am meisten werden im Sommer adaptive Ballsportarten wie Fußball nachgefragt, im Winter Langlauf. Ich wünsche mir eine richtige Begriffsabgrenzung.

STANDARD: Gefühlt tauchen jedes Jahr neue Begriffe auf. Darf man behindert sagen, sind es Menschen mit besonderen Bedürfnissen, mit Beeinträchtigungen?

Buchinger: Es sind Menschen mit Lernschwierigkeiten. Und die äußern sich nicht immer offensichtlich. Nehmen wir meinen Sohn als Beispiel. Er ist in Teilbereichen viel schneller im Kopf als ich, merkt sich Telefonnummern, Fußballstatistiken. Er hat aber Schwierigkeiten, neue Zusammenhänge zu lernen. Den Weg von seinem alten Zuhause in die neue Wohngemeinschaft mussten wir mit ihm oft gehen. Das war ein Training, er wurde immer besser, bis er sich den Weg gemerkt hat. Erst wenn man länger mit ihm spricht, merkt man, dass er beeinträchtigt ist.

STANDARD: Heutzutage hat man oft den Eindruck, das Streben nach schneller, höher, weiter nimmt überhand. Aber gerade bei den Special Olympics bemühen sich Sportler, das Streben nach dem Sieg in den Vordergrund zu stellen, um sich vom Charakter einer Benefizveranstaltung abzugrenzen.

Buchinger: Die sportlichen Leistungen der Athleten sollte man ernst nehmen, anstatt Mitleid zu zeigen. Langläufer bei den Special Olympics sind womöglich um Minuten langsamer als bei der nordischen Ski-WM. Aber gerade diese Unterschiede könnte man viel besser erklären. Im Judo oder im Boxen ist es selbstverständlich, dass es unterschiedliche Gewichtsklassen gibt. Bei den Special Olympics könnte man die unterschiedlichen Voraussetzungen der Athleten in einem einheitlichen Bewertungsschema berücksichtigen und den Schweregrad der Beeinträchtigungen einbeziehen. Und so endlich die großartigen Leistungen der Sportler objektivieren. Das würde das Thema auch fassbarer machen.

STANDARD: Wie sieht es generell mit der gesellschaftlichen Akzeptanz intellektuell beeinträchtigter Menschen aus? Hat sich seit den letzten Special Olympics in Österreich vor 24 Jahren in den Köpfen etwas verändert?

Buchinger: Auf jeden Fall. Die Special Olympics sind nicht frei vom Charity-Gedanken. Aber die Leistungen der Sportler sind sichtbarer geworden. Früher hat man diese Menschen in Heime abgeschoben. Heute ist der Weg in den Sport ein viel größeres Thema. Der Verein Special Olympics Österreich betreut fast 5000 Sportler. Dabei könnten es natürlich immer noch mehr sein. In ganz Österreich gibt es etwa 100.000 Menschen mit Lernschwierigkeiten.

STANDARD: Timothy Shriver, Neffe von John F. Kennedy und Präsident der Special Olympics, lobte Österreich als Vorreiter in Sachen Inklusion. Trotz steigender Subventionen für den Sport erhielt der Behindertensport im Vorjahr aber weniger Geld. Wie passt das zusammen?

Buchinger: Die Basissubvention von 400.000 Euro wurde gesichert. Natürlich kann man nie ganz zufrieden sein. Österreich zählt nicht zu den zehn besten Nationen der Welt, was Förderung von Inklusion betrifft, aber sicher zum obersten Drittel.

STANDARD: An welchem Land sollte sich Österreich in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Lernschwierigkeiten orientieren?

Buchinger: Australien, Neuseeland und die skandinavischen Länder sind Vorreiter. Auch die USA haben eine Tradition von Gleichstellung. Dafür offenbart das System dort Schwächen bei materiellen Zuwendungen.

STANDARD: Das Budget für die Special Olympics ist mit 23 Millionen Euro stattlich. Welche Unterschiede gibt es bei der Finanzierung zu anderen Sportevents?

Buchinger: Es ist ein sehr gutes Budget. Je fünf Millionen kommen von Bund und Land, zwei Millionen von Graz und eine Million von Schladming. Den Rest decken Großsponsoren ab. In der Organisation gibt es relativ wenige Unterschiede zu anderen Sportevents. Es müssen mehr Rahmenprogramme koordiniert werden. Die Special Olympics sind 2017 die mit Abstand größte Veranstaltung in Österreich, Schladming geht dank TV-Bildern von ESPN und ORF um die ganze Welt.

STANDARD: Wie lässt es sich verhindern, dass die Special Olympics nur für zwei Wochen in der Öffentlichkeit präsent sind, bis dann das Thema wieder aus dem Rampenlicht verschwindet?

Buchinger: Ich wünsche mir, dass die Special Olympics ein nachhaltiges Zeichen setzen. Wir haben aber auch seit 2013 im Sportfördergesetz festgehalten, dass die Inklusion von Menschen mit Lernschwierigkeiten voranzutreiben ist. Es gibt klare Anforderungen für Barrierefreiheit in den Sportstätten. Aber bis zur deren flächendeckender Umsetzung ist es noch ein weiter Weg. (Florian Vetter, 14.3.2017)