Spiel mit der Identität auf der Suche nach neuen Körperbildern: Jakob Lena Knebls "Madame Tina" (2015).

Foto: Jakob Lena Knebl

Wien – Eine als Mannequin benutzte Bronzefigur Alberto Giacomettis? Sieht man nicht alle Tage, derzeit aber im Mumok. Die Wiener Künstlerin Jakob Lena Knebl hat für ihre Personale Giacomettis Stehende Frau III (1962), eine jener gelängten, quasi "bis auf die Knochen" reduzierten Figuren, in einen rot glänzenden, glamourösen Überwurf gesteckt. Und damit nicht genug. Zudem dreht sich die Gute nun à la Schaufensterpuppe auf einem verspiegelten Podest.

Eröffnung der neuen Mumok-Ausstellungen von Jakob Lena Knebel und Hannah Black.
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Entführe einem ob dieser durchaus kuriosen Geste ein Ausruf des Erstaunens, ja, dann wäre das auch schon ganz im Sinne Knebls. Oh ... heißt ihre Ausstellung, und derlei Aneignungen – lustige, dreiste, beherzte und vor allem queere – sind Programm. Die 1970 geborene Künstlerin zeigt nämlich nicht nur eigene Arbeiten, sondern verknüpfte diese mit Beständen aus der Kollektion des Hauses.

Aberwitzig und elegant

Sie tauchte ein ins Dickicht der Kunstgeschichte, um neue Schneisen durch dasselbe zu schlagen. Herausgekommen ist eine aberwitzige und gleichzeitig ungemein elegante Melange aus hoher Kunst und Popkultur, Burleske und 1970er-Jahre-Design. Identität und Sexualität, das sind die darin anhand von Mode, Kunst, Design verhandelten Themen. Und ja, natürlich schadet es nicht, gendertheoretisch bewandert, in die queere Theorie eingearbeitet zu sein. Das Schöne an der Schau ist allerdings, dass es grundsätzlich auch schon genügt, wenn man einfach seinen Körper mitbringt.

Dieser nämlich bildet einen entscheidenden Fluchtpunkt in den Knebl'schen "Begehrensräumen", wie die Künstlerin ihre sinnlichen Arrangements nennt. Auf den Körper hin werden aus dem Archiv gegrabene Fotos, Objekte, Gemälde befragt. Mitunter auf ganz direkte Art: So schrieb sich Knebl zuweilen in Arbeiten ein, machte sich per Fotomontage zum Mitglied einer adipösen Familie auf einem Gemälde Fernando Boteros. Oder sie las eine Plastik Oskar Schlemmers que(e)r, indem sie sich in laszive Umarmung mit derselben begab.

Kunst oder Design?

Ein Foto davon ist – nebst Schlemmers Abstrakter Figur (1921) – Teil von Knebls Installation Come Closer. Zentral positioniert, prägen edle Textilien die Atmosphäre. Deren Üppigkeit steht indes im scharfen Kontrast zum Gehäuse dieser kleinen "Bühne", das nur aus violetten Stahlstangen besteht.

Die Methode, Architekturen oder Möbelstücke aufs Skelett zu abstrahieren, bemüht Knebl dabei immer wieder. Durch Auslassungen sollen neue Sichtweisen auf diese Dinge möglich werden: Was könnte ein Stuhl noch sein, wenn man ihn einmal einfach nur als rundliche Mulde auf vier Beinen betrachtet?

Die Spannung in Knebls "Begehrensräumen" rührt auch daher, dass die Grenzen zwischen Mode, Design und Kunst zum Verschwimmen gebracht werden. Ist etwa dieses Bild von einem sexy Männerhintern, gemalt von Johanna Kandl und von Knebl kurzerhand in ein 70er-Jahre-Möbelensemble integriert, nun Kunst? Oder, überspitzt gesagt, doch bei Ikea gekauft?

Männerkunst als Tapete

Auch die Herren der modernen Kunst rückte Knebl in neues Licht: Sie machte deren Arbeiten zu einer Art Tapete, wobei ein Pollock oder ein Mondrian ganz oben zu hängen kamen, dort, wo sie eher zum Farbtupfer werden. Dieserart den Spieß der Geschlechter umdrehend, rückte sie andernorts weniger bekannte Künstlerinnen in den Vordergrund – und zeigt beispielsweise aus Muranoglas mundgeblasene Kondome von Michaela Spiegel.

Die vielen in der Schau untergebrachten Zerrspiegel dienen dazu, die Exponate aus immer neuen Perspektiven sehen zu können, sagt Knebl. Und als ob das auch noch nicht genug wäre, legte sie quasi als i-Tüpfelchen noch eine digitale Spiegelung obendrauf: Eine Ebene der Schau ist per monumentale Projektion virtuell verdoppelt. Klingt überkandidelt, ist aber elegant gelöst. Und es kommt noch abstruser: Die "Spielfigur" darin, nachempfunden der Künstlerin, kann von Besuchern per App gesteuert werden. Eine ihrer Handlungen besteht in nichts Geringerem, als eingangs erwähnte, ausgemergelte Giacometti-Figur (bzw. deren virtuelles Abbild) zu füttern, auf dass sie wohlgenährter werde: Mach schön Oh! (Roman Gerold, 16.3.2017)