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Istanbul – Die Türkei hat das Rücknahmeabkommen von 2014 mit der EU teilweise ausgesetzt. Derzeit würden keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückgenommen, sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Mittwoch dem Fernsehsender 24 TV. Zugleich drohte er einmal mehr mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens von 2016. Die Regierung könne das Abkommen jederzeit einseitig beenden. "Von jetzt an können wir sagen: Wir setzen es nicht mehr um, und es ist vorbei."

Çavuşoğlu warf der EU vor, die in Aussicht gestellte Visafreiheit für türkische Bürger nicht umzusetzen. "Visafreiheit ist ein Muss", so der Außenminister. Das im März 2016 vereinbarte Flüchtlingsabkommen sieht vor, dass die Türkei alle auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurücknimmt. Für jeden so abgeschobenen Syrer soll die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Außerdem sagte die EU Milliardenzahlungen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu. Außerdem wurde der Türkei in Aussicht gestellt, dass ihre Bürger rascher Visafreiheit für die EU erhalten sollen. Allerdings gibt es in dieser Frage seit Monaten keine Fortschritte.

Das Abkommen enthält auch eine Klausel, in der sich die Türkei verpflichtet, das Entstehen "neuer Migrationsrouten" über See und Land zu unterbinden. Die Flüchtlingsbewegung über die Türkei Richtung Westeuropa kam seit der Umsetzung des Abkommens weitgehend zum Erliegen.

Pakt beruhe auf gegenseitigem Vertrauen

Die EU-Kommission erwartet von der Türkei die Einhaltung des Flüchtlingspakts. Ein Kommissionssprecher erklärte am Donnerstag zu neuerlichen Drohungen aus der Türkei, den Flüchtlingspakt mit der Europäischen Union platzen zu lassen, dass die Brüsseler Behörde "sich der Erfüllung der Vereinbarung verpflichtet" fühle.

Wie bereits mehrmals betont, beruhe der Pakt auf "gegenseitigem Vertrauen und der Erfüllung". Deshalb "erwarten wir von beiden Seiten, sich die Verpflichtungen zu halten". Dies sei im Interesse und Nutzen beider Seiten und auch der syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Die Frage, ob es im Fall des Scheiterns einen Plan B der Kommission gebe, wollte der Sprecher nicht beantworten.

Gleichzeitig versuchte die Kommission den jüngsten Querelen mit Ankara durch ein "bisher größte humanitäre Bildungsprogramm" für 230.000 Flüchtlingskinder in der Türkei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Brüsseler Behörde kündigte am Donnerstag an, dass 34 Millionen Euro für Projekte vorgesehen werden und ab Mai 2017 bedürftigen Flüchtlingsfamilien, deren Kinder regelmäßig die Schule besuchen, ausgezahlt werden. Es sei die moralische Pflicht der Kommission, diese Generation von Flüchtlingskindern zu retten und in ihre Zukunft zu investieren.

Der Vertrag mit UNICEF kommt zu dem Betrag von 517 Millionen Euro hinzu, der bereits für humanitäre Hilfe vertraglich gebunden ist. Damit wurden im Rahmen der Flüchtlingshilfe von 1,5 Mrd. Euro beschlossenen Geldern im humanitären Bereich bereits 777 Millionen Euro ausbezahlt.

Doskozil für Außengrenzschutz

Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) fordert indessen, dass die EU ihre Außengrenzen militärisch schützt. "Es ist ein reales Szenario, dass die Türkei die Schleusen wieder öffnet. Wir sollten nicht länger abhängig sein von der Willkür des türkischen Regimes", erklärte Doskozil am Donnerstag.

In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA warnte der Verteidigungsminister: "Wenn die Europäische Union nicht endlich ihre Hausaufgaben macht, droht eine neue Flüchtlingswelle über die Westbalkan-Route." Er, so Doskozil, habe immer gesagt, dass "der Flüchtlingsdeal mit der Türkei lediglich ein Zeitfenster für die EU eröffnet hat".

"Wir brauchen verstärkte Maßnahmen zum Schutz der EU-Außengrenzen entlang der Westbalkan-Route. Ich habe bereits vor Monaten eine EU-Grenzschutzmission mit Militärs vorgeschlagen. Diese könnte man relativ rasch beschließen", so der Minister weiter. "Die militärischen Ressourcen sollte man endlich nutzen, um dieser aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderung begegnen zu können", sagte Doskozil.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind äußerst angespannt. Auf die Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland und den Niederlanden reagierte Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit wüsten Beschimpfungen. Er warf den Regierungen in Berlin und Den Haag unter anderem "Nazimethoden" vor. (APA, AFP, red, 15.3.2017)