Wollen künftig geeint marschieren: die Präsidenten der ehemaligen Pariser Rugby-Rivalen Racing 92 (Jacky Lorenzetti, rechts) und Stade Français (Thomas Savare).

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Spieler und Anhänger Stades bei einer gemeinsamen Kundgebung gegen die Fusion.

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Paris/Wien – Es ist ein Stoff für Albtraume. Man stelle sich vor: die Präsidenten von Celtic und Rangers, Milan und Inter oder – Gott behüte – jene von Rapid und der Wiener Austria würden in einer Nacht- und Nebelaktion die Fusion ihrer Vereine unter Dach und Fach bringen. Schreiend und schweißtriefend würde der Sportfreund aus dem Schlaf schrecken, ehe er erleichtert aufatmet, ob der unmöglichen Verrücktheit einer solchen Vorstellung leise vor sich hinlächelnd.

Und doch ist eben dies – und noch mehr – in Frankreich gerade wahr geworden, sind doch die Pariser Rugbyvereine Stade Français und Racing 92 nicht nur traditionsreiche Lokalrivalen, sondern auch Frankreichs Meister 2014/15 bzw. 2015/16. Völlig überraschend verkündeten die Patrons Thomas Savare (Stade) und Jacky Lorenzetti (Racing) in dieser Woche das Zusammengehen zum Zwecke der Aufrichtung eines hauptstädtischen Superklubs, für den es derweil noch nicht einmal einen Namen gibt. Betroffen von der Konzentration der Kräfte sind nur die jeweiligen Profi-Abteilungen, Amateur- und Jugendbereich sollen unabhängig voneinander weitergeführt werden.

It's the economy, stupid!

Seither beherrscht helle Aufregung Frankreichs Rugby-Getriebe, das von diesem beispiellosen Vorgang in seiner Gesamtheit auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Weder der Verband, noch die Liga, ja nicht einmal die eigenen Spieler waren eingebunden, sondern wurden stattdessen mit einem dürren Kommuniqué vor vollendete Tatsachen gestellt. Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz räumten Lorenzetti und Savare zwar ein, dass der Vorgang vermutlich für viele schwer zu verstehen sei, daran aber nicht mehr zu rütteln ist. Außerdem sei Diskretion für das Gelingen solcher Projekte eben notwendig.

Wie es nun weitergeht weiß zwar niemand, glatt dürfte die Angelegenheit aber jedenfalls nicht verlaufen. Abgesehen davon, dass innerhalb weniger Stunden zehntausende Fans eine Petition gegen die Fusion unterschrieben haben, gehen auch die konsternierten Stade-Spieler auf die Barrikaden. Ein Streik wurde ausgerufen, das samstägliche Meisterschaftsspiel bei Castres wird nicht stattfinden. Dieser Protest ist auch Ausdruck der Wahrnehmung, dass hier mitnichten ein Zusammengehen auf Augenhöhe stattfindet, sondern ihr Klub vielmehr Opfer einer feindlichen Übernahme wurde. Schließlich stand Stade offenbar schon länger zum Verkauf. Präsident Savare, ein wohlbestallter Geschäftsmann, wollte sein Engagement beim 14-fachen Meister beenden, wie es scheint auf Geheiß seines Vaters Jean-Pierre, der mit dem kaum profitträchtigen Rugby-Spleen des Sohnes wenig anfangen kann.

Lorenzetti wiederum, der sein Vermögen mit Immobilien gemacht hat, ist ebenfalls unter Zugzwang. Der Chef des exklusiven Racing-Klubs, der mit dem Fusionsprojekt katarische Investoren bei Stade aus dem Feld geschlagen haben will, verfolgt bereits seit Jahren die Entwicklung eines Unterhaltungskomplexes gleich hinter der Grande Arche im Viertel La Défense. 2018 wird die über 300 Millionen teure U Arena nun endlich fertig – und will bespielt werden. Gewinn abwerfen sollen unter anderem Rugby-Spiele in der überdachten Arena mit 35.000 Plätzen. Ob dieser Plan aufgeht ist fraglich. Denn Racing, sechsmal Champion, tut sich bereits schwer, sein altes Stade Olympique mit 7.000 Zuschauern zu füllen. Stade Français wiederum, dessen Stade Jean-Bouin erst 2013 so aufwändig wie teuer auf ein Fassungsvermögen von 20.000 Zuschauern ausgebaut wurde, tritt nicht selten vor halbleeren Rängen an. Mourad Boudjellal, bekannt zungenfertiger Zampano beim RC Toulon, fragte bereits stichelnd, was bei der Addition zweier leerer Stadien wohl am Ende herauskommen wird?

Die Meisterschaft, eine Farce?

Ach sonst bleiben viele Fragen offen. Zum Beispiel, jene nach dem weiteren Verlauf der Meisterschaft. Vorauszuschicken ist hier, dass Frankreichs erste Liga, die Top 14, das Premiumprodukt in Europas Rugby darstellt. Nirgendwo ist mehr Geld im Spiel, kommen mehr Zuschauer zu den Spielen – und auch das sportliche Niveau kann sich sehen lassen. Das Reglement der Top 14 sieht nun vor, dass bei dreimaligem Nichtantreten ein Klub vom Ligabetrieb suspendiert werden müsste. Sollte der Arbeitskampf der Stade-Spieler anhalten, könnte ein Ausschluss also ratzfatz auf der Tagesordnung stehen. In diesem Fall würden sämtliche bereits absolvierte Matches Stades strafverifiziert und "die Tabelle explodieren", wie Stefan Etcheverry, Pariser Journalist und Rugby-Experte, gegenüber dem STANDARD recht zünftig formuliert.

Bleibt Stade dem Bewerb erhalten, dann steht im April ein recht delikates Rendezvous auf dem Spielplan: das Match zwischen Stade und Racing nämlich, welches sich angesichts der Umstände als Absurdität ersten Ranges erweisen würde. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass sich gerade heuer das erste Aufeinandertreffen der – nunmehr ehemaligen – Rivalen zum 125. Mal jährt. 1892 besiegte Racing im Finale um die erstmals ausgespielte Meisterschaft Stade mit 4:3. Geleitet wurde die Partie von einem gewissen Pierre de Coubertin, gemeinhin bekannt als Vater des modernen Olympia.

Und noch eine Kleinigkeit gilt es zu erledigen. Die Fusion produziert einen mit internationalen Stars gespickten Riesenkader von ungefähr 90 Profis, den es auf die Hälfte einzudampfen gilt. Gut 45 Mann dürften also in Bälde ihren Job verlieren. Die im derzeit kasernierten Kader der französischen Nationalmannschaft befindlichen Internationalen von Racing und Stade dürften also gerade andere Prioritäten haben, als das anstehende Kräftemessen mit Wales im Rahmen der Six Nations. Die Freude von Teamchef Guy Novès wird sich in Grenzen halten. (Michael Robausch, 17.3.2017)