Rainer Galke wechselte 2015 von Düsseldorf an das Volkstheater Wien. Den Nestroypreis als bester Schauspieler hat er nun bereits.

Foto: Regine Hendrich

Wien – "Eines Tages trinkst du dein Bier und fliegst in die Luft", heißt es in einer der früheren Fassungen von Ödön von Horváths Kasimir und Karoline, Ein Satz, dem heute deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteilwird als in den Jahrzehnten davor. Immerhin zählt der arbeitslose Kraftwagenfahrer Kasimir, den mangels gesellschaftlicher Aufstiegschancen jetzt auch noch seine Freundin verlassen hat, zur Kategorie "gedemütigter Mann".

Da sitzt er jetzt mit dem simseidenen Merkl Franz beim Oktoberfest, wo ein Zeppelin am Himmel schwebt, und muss zusehen, wie sich seine Karoline den besser gelaunten und bessergestellten Herren zuwendet.

"Kasimir steht für Menschen, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen", sagt Rainer Galke, der den Titelhelden ab Freitag (Premiere, 19.30 Uhr), in einer Inszenierung von Philipp Preuss am Volkstheater verkörpert. Auch fiel während der Proben der Begriff Wutbürger, aber, so Galke, "wir treiben das nicht in Richtung Amoklauf". Obwohl es beim Oktoberfest auch schon einen Anschlag gegeben hat: 1980 starben bei einem rechtsradikalen Attentat 13 Menschen durch eine Rohrbombe.

Gesellschaftliche Verunsicherung

Horváth zeigt, wie die gesellschaftliche Krise ins Private eindringt. "Das Stück wird ja deshalb so oft gespielt, weil es eine gesellschaftliche Verunsicherung so genau auf den Punkt bringt", so Galke. Die letzte Inszenierung am Volkstheater liegt zwar schon einige Jahre zurück (2005), in der Josefstadt war das Drama zuletzt 2012 mit Katharina Straßer und Harald Windisch zu sehen. Die Aufführungsdichte im deutschsprachigen Raum ist hoch. Und schon diesen Sommer macht sich die New Yorker Compagnie 600 Highwaymen daran, den Volksstückklassiker bei den Salzburger Festspielen in eine heutige heterogene Gesellschaft zu übersetzen.

An Galkes Seite im Volkstheater steht übrigens Stefanie Reinsperger als Karoline.

Galke ist ein echter NRWler (Nordrhein-Westfalen). Er wurde 1971 in Meerbusch nahe Düsseldorf geboren und war dort von 2006 bis 2015 auch im Ensemble des Schauspielhauses. Anna Badora lockte ihn von dort zum Neustart an das Volkstheater nach Wien. Eine Entscheidung mit Fortune, wie sich herausstellte, denn der wandlungsfähige Mime heimste letzten Herbst gleich den Nestroypreis für den besten Schauspieler ein – und schlug damit Größen wie August Diehl oder Nicholas Ofczarek aus dem Feld. Für seine neue Heimatstadt findet Galke, zweifacher Vater, nur Worte des Lobes, insbesondere wegen des Kulturangebotes: "Wien ist für mich derzeit wie ein eineinhalb Jahre dauernder Städteurlaub".

Vor Sprachidiomen zeigt der deutsche Schauspieler großen Respekt. Immerhin konnte er mit österreichischen Autoren wie Johann Nestroy (Zu ebener Erde und erster Stock), Thomas Bernhard (Alte Meister) und Werner Schwab (Der reizende Reigen ...) schon auf Tuchfühlung gehen. Zugleich aber beobachtet Galke auch, dass es die Sprache selbst ist, "die sich den Schauspieler packt".

Im Jahrmarktsfieber

Horváths Kunstsprache sieht Galke als große Herausforderung. Demütig meint er, man könne "diese schönen Sätze eigentlich nur kleiner machen, wenn man sie spielt". Und weiter: "Mit dieser Sprache ist etwas. Man spürt durch sie nicht zuletzt den Käfig, in dem die Figuren stecken."

Wer bei Kasimir und Karoline, uraufgeführt 1932 in Leipzig, an Biertische, Girlanden und blauweiße Fähnchen denkt, hat recht, doch "diese Erwartungen werden wir am Volkstheater enttäuschen", so Galke. Dabei ist der Sohn eines Herrn vom Bauordnungsamt ein wahrer Jahrmarktsfan. Vater Galke war zuständig u. a. für die Sicherheit von Kirmeslandschaften und kam nach den gemeinsam mit dem TÜV durchgeführten Überprüfungen der Attraktionen jedes Mal mit einer Tasche voller Leckereien nach Hause. Dieses Glücksgefühl aus der Kindheit hält an: "Für mich ist der Glanz noch nicht vorbei!" (Margarete Affenzeller, 17.3.2017)