Jahrelang war es kein besonders gut gehütetes Geheimnis, dass nicht alle österreichischen Staatsbürger mit türkischen Wurzeln diese Wurzeln durch die Wiederannahme eines türkischen Passes vollends vertrocknen lassen wollten. Erdogan musste kommen, um hierzulande in Erinnerung zu rufen, dass es sich dabei um eine Gesetzwidrigkeit handelt, die plötzlich unter den Nägeln brennt, aber nur unter österreichischen. Besagter Erdogan hat offenbar kein Problem damit, wenn Türken, die sich einmal entschieden haben, Österreicher zu werden, dieses harte Los zwar ertragen, aber durch einen Zweitpass türkischer Provenienz zu mildern trachten. Wüsste man es nicht besser, könnte man es als schönes Beispiel völkerverbindender Aufgeschlossenheit sehen, umso mehr, als es die Ausübung einer demokratischer Tugend, nämlich die Teilnahme an Abstimmungen auch in der Türkei ermöglichen soll.

Stünde Erdogan nicht im Verdacht, sich mit terroristischen Methoden wie Einschränkung der Pressefreiheit und Massenverhaftungen von politischen Gegnern zum Diktator seines Landes aufschwingen zu wollen, würde in Österreich so wie all die Jahre bisher kaum ein Hahn nach dem gesetzwidrigen Besitz eines türkischen Zweitpasses krähen. Allein die Möglichkeit, er oder einer seiner Handlanger könnten unter ehemaligen Landsleuten, auf die die Republik Österreich nun passmäßigen Anspruch erhebt, erfolgreich Propaganda für seine autokratischen Absichten machen, hat mit einem Mal den Sinn für das Skandalon des türkischen Zweitpasses über die bürokratische Routine hinaus geschärft. Und jetzt soll ein für alle Mal durchgegriffen werden.

Die Frage ist nur: Wie, und was soll es bringen? Wenn es stimmt, dass in Österreich mehr als zehntausend Doppelpassbesitzer türkischer Herkunft leben, dann sind die sehr wenigen Fälle, die alljährlich mehr oder weniger aus purem Zufall geahndet werden können, kein besonderer Beweis dafür, dass hierzulande Gesetzesverstöße so konsequent geahndet werden, wie das ein Staat, der ernst genommen werden will, tun müsste.

Auch wenn man die österreichische Staatsbürgerschaft als ein hohes Gut einschätzt – und das tun offenbar selbst viele Menschen mit türkischen Wurzeln, sonst würden sie sie nicht erwerben -, ist nicht zu erkennen, worin ihr Wert mit der Annahme eines zweiten Passes geschmälert werden sollte. Nicht durch private Gründe wie etwa eine für später geplante Rückkehr in das Herkunftsland und schon gar nicht durch eine Teilnahme an demokratischen Wahlen ebendort. Gegen den Fanatismus, mit dem Erdogans Pläne auch hierzulande unterstützt werden, wäre die Drohung mit einem Entzug der Staatsbürgerschaft auch kein geeignetes Mittel.

Eine befristete Amnestie, wie die Grünen sie vorschlagen, brächte kurzfristig Entspannung, wäre aber keine grundsätzliche Lösung des Problems. Zukunftsweisend wäre es, das Problem, statt es nur momentan durch die türkische Brille zu sehen, großzügig und unter Berücksichtigung zunehmender internationaler Mobilität zu lösen. Zwei Pässe – und lückenhafte Kontrolle wäre hinfällig. (Günter Traxler, 16.3.2017)