Die Brunnenpassage in Wien fokussiert bewusst auf das Brunnenviertel. "Es gibt zu wenig Kulturinstitutionen, die in den Außenbezirken beheimatet sind und über Jahre eine Beziehung zur Nachbarschaft aufbauen", sagt Anne Wiederhold.

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"Beim Rechts-ruck nicht zu-schauen": Anne Wiederhold.

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Wien – "Dobro dosli" und "Kunst für alle" steht auf der Fassade der Brunnenpassage. In einer ehemaligen Markthalle auf dem Yppenplatz soll jeder an Kunst teilhaben können. Denn das sei nicht selbstverständlich, sagt Anne Wiederhold-Daryanavard. Die Schauspielerin ist künstlerische Leiterin der Brunnenpassage, die mit der Reihe "Arts, Rights & Justice" ab heute ihr zehnjähriges Bestehen feiert.

Obwohl Wien eine Weltkulturmetropole ist, gibt es tausende Wiener, die keinen Zugang zu Kunst und Kultur haben. "Von den Steuerzahlern rezipiert nur ein Bruchteil Kunst", sagt Wiederhold. Denn wie die akademische Bildung wird auch kulturelle Bildung an die Kinder vererbt. "Ob die Eltern ein Abo im Burgtheater hatten oder ob Bücher zu Hause sind – das wird weitergegeben." Seit zehn Jahren versucht die Brunnenpassage den Zugang zu Kulturangeboten zu erleichtern.

Als 2007 die kleine Markthalle auf dem Brunnenmarkt frei wurde, wollten Wettbüro- und Supermarktbetreiber die Immobilie kaufen, doch die Caritas bekam sie. "Die Idee war, mit Kunst in die Gesellschaft hineinzuwirken. Es hieß dann: Wir probieren mal, ob es überhaupt Interesse gibt. Es war ganz wenig Geld da, alle hatten Verträge für ein Jahr", sagt Wiederhold. Auf einer Bank vor der Markthalle wurden die ersten Projekte geplant, ein Büro gab es noch nicht. So fand die Brunnenpassage schon früh den direkten Zugang zum Brunnenviertel.

400 Veranstaltungen pro Jahr

Um gezielt Menschen im Viertel zu erreichen, setzt die Brunnenpassage bei der Bewerbung des Programms auf Mehrsprachigkeit und Mundpropaganda. "Der Spielplan liegt in der Moschee, der Volkshochschule oder im Jugendzentrum auf, aber wirklich nur hier in der unmittelbaren Umgebung." Alle Sprachen, in denen das Team Projekte bewirbt, werden auch in der Brunnenpassage vor Ort gesprochen. Vor allem Serbokroatisch und Türkisch seien auf dem Brunnenmarkt gefragt.

Fünf Mitarbeiter organisieren an die 400 Veranstaltungen pro Jahr. "Wir sind mit unserem Budget ziemlich am Limit", so Wiederhold. Die Anschubzeit finanzierte damals noch die Caritas, und sie fängt den Betrieb auch heute immer noch auf, wenn öffentliche Gelder fehlen. "Man muss leider sagen, dass bisher noch keine vollständige Ausfinanzierung der Projekte möglich war, obwohl die Stadt Wien klar signalisiert, dass es dezentrale Kunstorte braucht."

Die Projekte spannen sich von Theaterworkshops und Filmabenden bis zum Halalwürstelstand, der die urige Wiener Würstelstandkultur mit islamischen Zubereitungsmethoden kreuzt. Der Brunnenchor, der vor zehn Jahren mit acht Mitgliedern begann, zählt jetzt an die hundert Sängerinnen und Sänger. "Es ist alles sehr viel größer und komplexer geworden", sagt Wiederhold. Eines der größten Projekte war 2014 die Inszenierung von William Shakespeares Der Sturm in Kooperation mit dem Volkstheater (Plakate in 19 Sprachen).

Keine Reduktion

Ein wichtiges Zielpublikum sind Menschen mit Migrationshintergrund. Trotzdem will Wiederhold nicht, dass die Brunnenpassage darauf reduziert wird. Aber, es gehe sehr wohl auch um Integration und den Abbau der Berührungsängste gegenüber zugewanderten Menschen. Denn die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt sich trotz Vorstößen der Kulturpolitik noch nicht in Kunst und Kultur wider. "Es geht bereits in eine bessere Richtung, aber ich habe nicht den Eindruck, als würde ein Umdenken oder gar eine Umverteilung stattfinden."

Gemeinsam mit Kollegin Ivana Pilic war Wiederhold Teil einer Expertengruppe für kulturelle Vielfalt und interkulturellen Dialog in Brüssel. "Europaweit hat man erkannt, dass wir ein Update in der Verteilung von Kunst und Kultur brauchen, weil sich die Gesellschaft laufend verändert. Für mich gibt es da eine gesellschaftliche Verantwortung vonseiten der Kunst, beim politischen Rechtsruck nicht nur zuzuschauen", sagt Wiederhold. "Ich finde, es kann nicht sein, dass alle ihr Ding weitermachen, solange die Abozahlen stimmen und eh irgendwelche Leute kommen. Es wäre eigentlich Zeit für ein Aufwachen." (Eva Walisch, 17.3.2017)