Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in einem Heim. Auch der junge Afghane, dem der Schutz entzogen wurde, war minderjährig allein ins Land gekommen.

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Wien – Afghanen beantragen in Österreich derzeit am zweithäufigsten Asyl, gleich nach den Syrern. Doch nur rund ein Fünftel ihrer Anträge endet positiv. Stattdessen erhalten viele afghanische Flüchtlinge subsidiären Schutz, weil für sie im Fall einer Rückkehr Gefahr für Leben oder Unversehrtheit bestünde.

Insgesamt dürften in Österreich daher etliche tausend Afghaninnen und Afghanen mit subsidiärem Schutz leben. Dieser muss von den Asylbehörden zuerst nach einem, dann nach je zwei Jahren verlängert werden. Angesichts der prekären Sicherheitslage in Afghanistan geschah das bis dato allermeist problemlos.

Existenz in Kabul

Umso überraschender kommt ein dem STANDARD vorliegender Spruch des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Graz. Darin geht es um einen in Wien lebenden jungen Mann aus Afghanistan (Name der Redaktion bekannt), der 2012 unbegleitet und minderjährig nach Österreich kam, subsidiären Schutz erhielt und inzwischen über 18 Jahre alt ist. Die Behörde bescheidet ihm: "Sie sind durch eine Rückkehr nach Afghanistan keiner realen Gefahr mehr ausgesetzt." Aufgrund der "nunmehrigen Volljährigkeit" komme außerdem "Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht": Es sei dem Mann zumutbar, sich in Kabul eine Existenz aufzubauen.

Daher, so der Bescheid, werde dem jungen Mann der subsidiäre Schutz "aberkannt". Die entsprechende Aufenthaltsberechtigung werde ihm "entzogen", seine Abschiebung nach Afghanistan sei "zulässig".

Experte: "Premiere"

"So eine Entscheidung hat es meines Wissens in Österreich noch nie gegeben. Das ist eine Premiere", sagt dazu Herbert Langthaler vom NGO-Zusammenschluss Asylkoordination. Bisher sei subsidiärer Schutz nur Flüchtlingen nach rechtskräftigen Verurteilungen aberkannt worden, "also in absoluten Einzelfällen".

Hier jedoch werde der Schutz einem jungen Mann trotz seiner – auch im Aberkennungsbescheid bestätigten – Unbescholtenheit entzogen. Sowie unter Hinweis auf eine "angeblich verbesserte Sicherheitslage in Kabul", obwohl es in der afghanischen Hauptstadt allein im März bisher zwei Terroranschläge mit insgesamt über 30 Toten und an die 70 Verletzten gegeben habe. Mache eine solche Begründung Schule, so stehe in Österreich vielen Afghanen eine Aberkennung subsidiären Schutzes ins Haus.

Integrationsbemühungen nichts wert

Bemerkenswert im vorliegenden Fall ist aber auch der Umgang der Asylbehörde mit den zahlreichen Unterlagen, die der junge Afghane vorlegte, um den Grad seiner Integration zu beweisen. Von der Kursbesuchsbestätigung für Deutsch auf Fortgeschrittenenniveau B1 übers Zeugnis zur Pflichtschulabschlussprüfung bis zur Bestätigung der Teilname an drei AMS-Projekten spannt sich der Bogen. "Sie besuchten zwar diverse Deutschkurse, haben die Schule besucht und an vielen Projekten des AMS teilgenommen, gehen jedoch nach diesem langen Aufenthalt in Österreich noch immer keiner Beschäftigung nach und beziehen Leistungen aus der Arbeitslosenhilfe", erklärte der Sachbearbeiter. Integration sei das keine.

Aktuell – so berichtet die Patin des jungen Mannes – besuche ihr Schützling einen AMS-Lehrvorbereitungskurs in einem österreichischen Großunternehmen. Der Lehrplatz sei ihm vor wenigen Tagen ab September fix zugesagt worden. "All die Bemühungen meines Schützlings und die Fördermaßnahmen des Staates sollen umsonst gewesen sein?", fragt sie. (Irene Brickner, 16.3.2017)