Selbst wenn schon Wunden entstanden sind, können Menschen mit Sauberkeitszwängen nicht aufhören, sich weiter zu waschen.

Foto: wikipedia/Arlington County/[cc;2.0;by]

Manche Menschen haben große Angst vor Schmutz und Krankheitserregern. Bei ihnen entwickelt sich häufig ein Waschzwang, sie reinigen sich dann ständig die Hände oder den Körper. Ein Teufelskreis, denn nach dem Waschen kommt die Angst vor neuem Schmutz schnell zurück. Die Betroffenen können ihr Verhalten sogar dann nicht ändern, wenn sich durch das viele Waschen schon Hautirritationen zeigen oder Wunden entstanden sind.

An solchen und anderen Zwangsstörungen leiden etwa zwei Prozent der Bevölkerung wenigstens einmal im Leben. Charakteristisch für die Krankheit sind anhaltende, zwanghafte Gedanken, die durch immer wiederkehrende, ritualisierte Zwangshandlungen kompensiert werden.

Zwangsstörungen werden, wie auch Depressionen, Essstörungen und andere psychiatrische Krankheiten, mit Antidepressiva behandelt. Deren Wirkmechanismus ist allerdings unspezifisch, also nicht auf die Ursachen der jeweiligen Krankheit zugeschnitten. Darum sucht die Wissenschaft nach neuen Therapiemöglichkeiten, die gezielter wirken und weniger Nebenwirkungen haben.

Fehlendes Protein

Kai Schuh vom Physiologischen Institut der Universität Würzburg und sein Team erforschen in Zusammenarbeit mit der Psychiatrie und der Neurologie die Grundlagen von Zwangserkrankungen. "Wir haben jetzt an einem Mausmodell nachgewiesen, dass allein ein Fehlen des Proteins SPRED2 ein übersteigertes Sauberkeitsverhalten auslösen kann", sagt er. Das sei bedeutsam, weil für diese Art von Leiden noch kein klarer Auslöser identifiziert ist. Bislang deute alles darauf hin, dass es mehrere Faktoren sind, die zu einer Zwangsstörung führen.

Das Protein SPRED2 kommt in allen Zellen des Körpers vor, besonders konzentriert tritt es im Gehirn auf – und zwar in den Basalganglien und der Amygdala-Region. Normalerweise hemmt das Protein einen wichtigen Signalweg der Zelle, die so genannte Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade. Wenn es fehlt, läuft dieser Signalweg mit einer höheren Aktivität ab als im Normalfall.

"Es ist vor allem der gehirnspezifische Initiator des Signalwegs, die Rezeptortyrosinkinase TrkB, die hier verstärkt aktiv ist und die überschießende Reaktion der nachgeschalteten Komponenten bewirkt", erklärt die Biologin Melanie Ullrich.

Wird die übermäßig aktive Signalkaskade im Tiermodell mit einem Hemmstoff beruhigt, führt das zu einer Milderung der Zwangshandlungen. Zudem konnte die Forschungsgruppe die Zwangsstörung – in Analogie zur gängigen Therapie beim Menschen – mit einem Antidepressivum behandeln. Die Ergebnisse sind im Fachblatt "Molecular Psychiatry" erschienen.

Neue Therapien

Durch die erstmals aufgedeckte Verbindung von Zwangserkrankungen mit der Ras/ERK-MAP-Kinase-Signalkaskade ergeben sich neue Ansatzpunkte für Therapiemöglichkeiten. Denn es gibt bereits Medikamente, die diese Kaskade hemmen und die teils zur Behandlung von Menschen zugelassen sind.

Laut Ullrich handelt es sich dabei um Krebsmedikamente, denn die Überaktivierung der Ras/ERK-MAP-Kinase-Kaskade sei häufig auch ein Auslöser von Krebserkrankungen: "Da ist es nun fraglich, ob solche Medikamente auch gegen Zwangsstörungen wirken und ob sie hinsichtlich der Nebenwirkungen Vorteile bringen." (red, idw, 17.3.2017)