Wenn ein Autor ein neues Buch herausgibt, wird er merkwürdig. Er ist reizbar, arrogant und benimmt sich überhaupt, als wäre er in den Wechseljahren. Er will auf keinen Fall zur Buchmesse und gibt sich trotzdem vor dem Einschlafen ein kleines Interview. Er hasst Amazon, schaut aber jede halbe Stunde den Verkaufsrang seines Sprösslings nach.

Und dann kommt der unvermeidliche Tag, wo er zur Buchmesse fährt. Nicht, dass er sich für sein Neugeborenes schämt oder ihm nicht Gutes tun möchte. Er fürchtet sich nur vor den anderen vielen Neugeburten, in deren Schatten sein Säugling kaum noch Luft bekommt. Ganz zu schweigen von den vielen anderen kapriziösen Eltern, die man dort haufenweise hintransportiert hat, um ihre Brut mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Kaum ist er da, ist alles wie gehabt.

Die erfahrenen Kollegen sind bereits angetrunken und die Debütanten herzhaft tapsig wie immer. Hier zählt beim Interview die völlig überschminkte junge, blasse Dichterin, in einem Minirock aufgetakelt, alle Dichter, für die sie in ihrer Schreibschule "zum Sterben bereit war". Dort murmelt Bedeutendes das künftige Junggenie in unhygienischem Pullover und starrt dabei in eine Ferne, die sich nur ihm erschließt.

Nicht mehr ganz nüchtern

Sie alle tragen in sich diese Erwartung und Bescheidenheit, die bald in eine natürliche Erwartung des Nobelpreises umschlägt. Gegen den Abend ist der Autor müde, nicht mehr ganz nüchtern und bereits auch entsprechend verbittert. Drei Interviews. Hätte schlimmer, aber auch besser kommen können. Schließlich folgt die Lesung. In einem kleinen Saal sitzen zehn Leser, für eine Buchmesse ein prima Schnitt. Das Publikum wirkt demütig und neugierig. Macht den Eindruck, als könnte es nicht erwarten, das Ende der Lesung mit Applaus zu belohnen.

Der Autor liest in seinem Säugling und hört sich dabei gleichzeitig selber zu. Er staunt, wann er so gut zu lesen gelernt hat. Er liest schon besser, als er schreibt. Seine Stimme ist kräftig und sicher, und er scheint alles zu haben, außer dem, was der Kollege Camus als des Autors größtes Kapital bezeichnete: Zweifel. Früher hatte er davon zwar reichlich, aber schon haben sie ihn nach dem ersten kleinen Erfolg verlassen. Sie tauchen nur noch ganz selten am Horizont auf wie eine kleine Tür, durch die er sich einen Besuch abstatten könnte. Aber diese Tür ist inzwischen so klein geworden, dass er weit über seine Schmerzgrenze schrumpfen müsste, um hindurchzukommen.

Man wartet verzweifelt

Also liest der Autor weiter und hofft auf ein schnelles Ende. Und dann passiert ein Wunder. Gegen Ende der Lesung geht plötzlich im Saal das Licht aus. Der Autor verstummt, und auch das Publikum ist augenblicklich mucksmäuschenstill. Man spürt, wie unangenehm es beiden Parteien ist, miteinander im Dunkeln zu sitzen. Man wartet verzweifelt auf das Licht, aber es kommt nicht. Und dann ruft jemand in der Dunkelheit: "Du Hampelmann. Fahr nach Hause!" Kaum ist das passiert, geht wieder das Licht an.

Der Autor hält Ausschau nach dem, der das gerufen hat. Aber das Publikum sieht ihn lächelnd an. Der Autor ist sich nicht mehr sicher, ob er das gehört oder sich eingebildet hat. Wenig später ist die Lesung vorbei. Ein paar Autogramme, um genau zu sein zwei. Ein paar Komplimente, und schon ist der Saal leer. Der Autor schlägt sein Buch zu und geht zum Regal, wo sich sein Gesicht spiegelt. Er lächelt und sieht, wie sein Spiegelbild mit Verspätung reagiert. Sogar dieses Gesicht, das ihn so lange schon begleitet, scheint sich in seiner Gegenwart unwohl zu fühlen.

Und dann passiert ein zweites Wunder innerhalb kürzester Zeit. Der Satz, der aus dem Dunkeln kam und ihn ins Mark traf, verwandelt sich in Balsam. So sehr, dass er ihn für sich noch einmal murmelt: "Fahr nach Hause, du Hampelmann!" Verdutzt, aber auch erstaunt packt er seinen Säugling in die Tasche und verlässt den Saal. (Radek Knapp, Album, 18.3.2017)