Johann Hauser zählt zu den Stars, die Gugging hervorbrachte."Frau vor einem Boot" heißt dieses Bild aus dem Jahr 1965/66.

Foto: Lentos Kunstmuseum Linz

Linz – In den 1950er-Jahren begann Leo Navratil, Psychiater an der damaligen Landesnervenklinik Gugging, seine Patienten zu Diagnose- und Therapiezwecken Schreiben oder Zeichnen zu lassen. Den Klienten selbst mag ihre Kunst dabei zunächst vor allem Linderung verschafft haben. Für die offizielle Kunst bedeuteten die Schöpfungen aus Gugging bisweilen eine Erleuchtung. Hier sah man jene Unverstelltheit, Unverbildetheit und Unbefangenheit, von der man sich einen Neubeginn der Kunst erhoffen durfte.

Arnulf Rainer war angetan von Navratils Sammlung von "Art brut" – ein Begriff, den der französische Künstler Jean Dubuffet wenige Jahre zuvor für die "rohe Kunst" aus dem Abseits der Gesellschaft geprägt hatte. Peter Pongratz, der bisher über die Beschäftigung mit Kinderzeichnungen dem Akademismus getrotzt hatte, ebenso. Spätestens eine Ausstellung 1970 in der Galerie nächst St. Stephan begründete den Aufstieg von Art-brut-Künstlern wie August Walla, Johann Hauser oder Oswald Tschirtner zu internationalen Stars.

Gut vertreten ist das Dreigestirn auch, wenn sich das Linzer Lentos nun in der großen Ausstellung dem Naheverhältnis zwischen der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre und der österreichischen Art brut widmet. Psycho Drawing, so lautet deren ziemlich reißerischer Titel, den Kuratorin Brigitte Reutner jedoch schlicht mit "verrückte Zeichnung" übersetzt – verrückt im Sinne von "ver-rücken", ohne Wertung.

Ihr Konzept besteht nämlich darin, jene Sammlungsbestände, die der frühere Linzer Museums direktor Peter Baum ab 1980 von Navratil ankaufte, nahtlos mit Arbeiten der "offiziellen Kunst", etwa von Maria Lassnig oder Hermann Nitsch zu vermengen. "Gemeinsam und gleichwertig" wolle man sie präsentieren, sagt Kuratorin Brigitte Reutner, um Besucher auf die Suche nach Parallelen, Gemeinsamkeiten zu schicken.

Aus der Schwärze gekratzt

Es ist dabei vor allem die Art brut selbst, die hier einmal mehr ihre ungebrochene Sogkraft entfaltet. Eine Diagnosezeichnung Oswald Tschirtners mit dem Titel 2 Menschen geben einander die Hand etwa: Wie Kraken sehen die Kopffüßer darauf aus, deren Tentakel sich am unteren Bildrand wie beiläufig berühren. Oder jene "Privatmythologie", mit der August Walla seine Lebenswelt obsessiv überzog. Beigefügt ist dem Landkartenbild des Gesamtkunstwerker dann Hermann Nitschs Bild Die Eroberung von Jerusalem, worin dieser eine unterirdische Architektur für sein Orgien-Mysterien-Theater skizzierte.

Im Kapitel "Zwischen Sichtbarkeit und Überzeichnung" trifft man auf einen Zyklus von Radierungen Alfred Hrdlickas, der den Sommer 1968 zu Recherchezwecken auf den Wiener Steinhofgründen verbrachte. Randolectil nannte er ihn, nach einem damals gängigen Beruhigungsmittel. Diffus, wie aus der Schwärze gekratzt wirken die Figuren darin.

Immer wieder öffnen in Psycho Drawing dokumentarische_Materialien (wie Fotos) Fenster in die 60er- und 70er-Jahre. Etwa im Kapitel "Mythos Frau", worin es um die Frauenvorstellungen der Gugginger geht. Dort sind die sexuellen Fantasien Hausers, für die er immer wieder auf Vorlagenbilder aus Zeitschriften zurückgriff, etwa mit Plattencovers korreliert, von denen eines etwa eine lolitahaft gestylte Frau zeigt. Auf den Frauenbildern Philip Schöpkes entdeckt man indes genau Altersangaben der Dargestellten, Franz Kauer ließ Körperteile weg.

Gut unterfüttert ist die Ausstellung mit Interviews, in denen etwa Oswald Oberhuber, Franz Schuh oder Johann Feilacher (Museum Gugging) zu Wort kommen. Hierbei werden mitunter auch "kritische" Momente dieser unverstellten, aber auch dem Leiden nie fernen Kunst angesprochen. Ja, es habe eine gewissen Berührungsscheu gegeben, die Art brut für die "Bildfindung" zu nutzen, sagt etwa Christian Ludwig Attersee zu. Immerhin seien die Gugging-Künstler ja "Unverkleidete".

Im Übrigen ist Kuratorin Reutner auch darauf aus, Grenzen seitens der Besucher aufzuheben: Sie wolle, sagt sie, mit dieser Ausstellung durchaus auch zeigen, dass jeder von uns schöpferisch tätig werden kann. (Roman Gerold, 18.3.2017)