Wien – "Das Blut der Verstorbenen schläft nicht", sagt Klytaimnestra. Aischylos' Orestie gibt eines der schauerlichsten Exempel dafür ab. Die einzige fast vollständig erhaltene Trilogie des antiken griechischen Theaters (bestehend aus den Teilen Agamemnon, Choephoren und Die Eumeniden) türmt im Namen der Rache Bluttat auf Bluttat: König Agamemnon opfert seine Tochter Iphigenie aus Staatsräson, daraufhin schlachtet ihn die um ihr Kind gebrachte Ehefrau. Der nun vaterlose Orestes sieht folglich keinen anderen Ausweg als den Muttermord, und er entledigt sich der Vollständigkeit halber auch noch deren Liebhabers Aigisthos.
Wo soll das enden? Pallas Athene schreitet ein. Und es folgt in Aischylos' Tragödie eine Urszene der politischen Moderne: die Installation eines Gerichts auf dem Areopag, die Anrufung der Bürger, sich um eine Rechtsprechung verdient zu machen. Darin liegt der Beginn der Autonomie menschlichen Selbstbewusstseins.
Ambivalenter Schluss
Je nach aktueller politischer Stimmungslage wird dieser dritte Teil der Trilogie in den Inszenierungen gefeiert, zaghaft angedeutet oder gar weggelassen. Antú Romero Nunes bleibt am Burgtheater (Übersetzung: Peter Stein) ambivalent: Zwar erscheint am Horizont der leeren Bühne (Matthias Koch) die mit Speer und Brustpanzer bewehrte Göttin (Irina Sulaver) und verkündet ihre Satzung, worauf sich der Zorn der Menge legt. Es fallen gar bunte Gewänder einer künftig individuell orientierten Gesellschaft vom Himmel. Doch es bleibt offensichtlich, dass diese Bürgerinnen und Bürger unter ihrer neuen pastellfarbigen Konsumware das alte, staubige Kleid der Rache weiter tragen.
Zu solch beredten Zeichen findet Nunes in seiner kompak-ten, zweistündigen Inszenierung mehrmals. Sie ist solide und setzt optisch ganz auf Antikenfantasie: mythologische Kleistergesichter, -gewänder und Landschaften. Das "schwarze Blut der Bürger" rinnt wie direkt vom Opferaltar mittig die leichte Bühnenschräge herab.
Nichts verkehrt, aber brav
Schlüssig und famos umgesetzt erweist sich die Idee, aus dem Chor von sieben Schauspielerinnen in Soldatenschnürschuhen (Kostüme: Victoria Behr) auch sämtliche handelnden Figuren herauszulösen. Einmal umgedreht, und schon rafft sich Caroline Peters als mächtige Klytaimnestra ihr Gorgonenhaar. Genial auch Maria Happel als gehörnter Agamemnon auf Kothurnen oder Aenne Schwarz als rasender Orestes, der sich mit einer Kindsmaske tarnt und dann "nicht ohne Recht" die Mutter totschlägt.
Nichts an dieser präzisen Arbeit scheint verkehrt, das Publikum folgte gebannt und mucksmäuschenstill wie selten. Jedoch bleibt sie allzu brav und reiht sich trotz der klug gedachten Frauenbesetzung ganz in tradierte Bilder ein. Nicht nur Antikenfreunde könnten begeistert sein. (Margarete Affenzeller, 19.3.2017)