Wien – Der Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), für EU-Ausländer eine Wartefrist für den Bezug von Sozialhilfe einzuführen, dürfte europarechtlich schwer bis kaum umsetzbar sein. Mehrere Europarechtsexperten äußerten am Montag auf APA-Anfrage Skepsis. Es brauche dafür zumindest eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat und eine Mehrheit im Europaparlament.

EU-Rechtsexperte Peter Hilpold von der Uni Innsbruck erklärte: "Soweit es sich bei den 'Ausländern' um Wanderarbeitnehmer aus der EU handelt, ist jede Streichung von Sozialhilfeleistungen völlig ausgeschlossen." Die Arbeitnehmerfreizügigkeit spreche hier eine klare Sprache. "Wanderarbeitnehmer haben ab dem ersten Tag ihrer Beschäftigung in Österreich Anspruch auf alle Sozialhilfeleistungen, unabhängig davon, wie hoch ihre Versicherungsleistung bis zu diesem Zeitpunkt war."

"Nicht zulässig"

"Das ist nach derzeitigem Stand des Unionsrechts nicht zulässig", sagt der Linzer Uni-Professor Franz Leidenmühler. Er verweist auf die Artikel 6, 7 und 24 der Unionsbürger-Richtlinie 2004/38. Es bräuchte eine Änderung dieses Sekundärrechtsakts, so Leidenmühler, der für die SPÖ im Linzer Gemeinderat sitzt. Dieselbe Meinung vertritt Walter Obwexer, der für die Regierung mehrere europarechtliche Gutachten erstellt hat: "Die Rechtslage ist sehr klar."

Skepsis kommt ebenso von Stefan Griller vom Salzburger Centre of European Union Studies. "Dafür ist mit Sicherheit mindestens eine Änderung der EU-Verordnung nötig, welche die Freizügigkeitsrechte konkretisiert, also eine qualifizierte Mehrheit im Rat und eine Mehrheit im Europäischen Parlament", sagt Griller. "Darüber hinaus könnte zweifelhaft sein, je nach Ausgestaltung, ob eine solche Veränderung vertragskonform sein kann, nämlich ohne die primärrechtlich garantierte Personenfreizügigkeit zu verletzen."

"Gefühlsmäßig" skeptisch

Auch der Grazer Europarechtler Hubert Isak meldet "gefühlsmäßig eine gewisse Skepsis" an. Kurz' Idee, mit der Versicherungsleistung zu argumentieren, sei aber nicht schlecht und möglicherweise doch mit EU-Recht vereinbar. "Endgültig beantworten kann das nur der EuGH", so Isak.

Kurz hatte am Wochenende angekündigt, die Sozialhilfeleistungen für Ausländer aus der EU in den ersten fünf Jahren streichen zu wollen. Arbeitslose sollten wieder in jene Staaten ziehen, wo sie einen Job finden. Beim Arbeitslosengeld und bei der Notstandshilfe handle es sich um eine Versicherungsleistung, argumentierte der Außenminister. "Man muss erst einmal einzahlen, bis man herausnehmen kann."

Sozialministerium zurückhaltend

Das Sozialministerium steht dem Vorstoß zurückhaltend gegenüber. Die Anstrengung sollte auf der Umsetzung des kürzlich beschlossenen Arbeitsprogramms liegen, sagte ein Sprecher von Ressortchef Alois Stöger (SPÖ) am Montag.

Mit dem Beschäftigungsbonus sollen jene, die schon am österreichischen Arbeitsmarkt sind, Vorrang bekommen, erinnerte der Stöger-Sprecher auf entsprechende Maßnahmen der Regierung. Das Ziel müsse sein, Arbeit und Beschäftigung zu schaffen.

EU-Kommission mahnt

Die EU-Kommission hat gleiche Sozialleistungen zu gleichen Beiträgen gefordert und sich damit indirekt gegen den Vorschlag von Kurz gestellt. "Es gibt eine klare Position der Kommission zu diesen Fragen", sagte EU-Kommissionssprecher Christian Wigand am Montag in Brüssel.

"Das Prinzip ist klar: Dieselbe Bezahlung für dieselbe Arbeit am selben Ort. Dies gilt auch für Beiträge und Sozialleistungen", so der Sprecher. "Alle unsere Vorschläge im Sozialbereich und zu Arbeitsmobilität konzentrieren sich auf eine Frage: Faire Mobilität in der Arbeit." Der Sprecher betonte, es gebe keinen konkreten österreichischen Vorschlag, und generell kommentiere die EU-Kommission auch keine Ankündigungen oder Kommentare anderer. (APA, 20.3.2017)