Als Martin McGuinness, der in der Nacht auf Dienstag 66-jährig gestorben ist, 2011 für die Präsidentschaft der Republik Irland kandidierte, kreierten seine Anhänger einen hübschen Slogan: "McGuinness is good for you." Die Anspielung auf den alten Werbespruch fürs irische Nationalgetränk Guinness blieb erfolglos, in den Dubliner Präsidentenpalast gewählt wurde der Sozialdemokrat Michael Higgins.
Am Dienstagvormittag kondolierten in rascher Abfolge der Amtsinhaber ebenso wie die Premierminister Großbritanniens und Irlands der Familie. Sie drückten damit die Wertschätzung aus, die der langjährige nordirische Vizepremier auf der grünen Insel und weit darüber hinaus genoss. McGuinness war tatsächlich gut – gut für den Friedensprozess in Nordirland, der 1998 in das Karfreitagsabkommen von Belfast mündete; gut für die mühsame, aus immer neuen Kompromissen bestehende alltägliche Regierungsarbeit mit den einstigen Todfeinden auf der unionistisch-protestantischen Seite; gut für die Absage an die politische Gewalt der Unbelehrbaren.
"Führungsfigur mit strategischem Kopf"
Zu denen gehörten auch einstige Kampfgefährten des Mannes, der erstmals als 21-jähriger Vizekommandeur der katholisch-republikanischen Terrortruppe IRA in seiner Heimatstadt Derry/Londonderry auf sich aufmerksam machte. Ein Jahr später, 1972, ließ ihn die britische Regierung zu Geheimverhandlungen nach London fliegen; der Geheimdienst MI5 beschrieb McGuinness bewundernd als "Führungsfigur mit strategischem Kopf".
Den bewies der gläubige Katholik in langen Jahrzehnten des Bürgerkriegs. Mit Sprengstoff in der einen Hand, der Wahlurne in der anderen machten die Republikaner Druck für ihre Sache. Am Ende waren McGuinness und sein Belfaster Pendant Gerry Adams weitsichtig genug zu erkennen: Die Gewaltstrategie hatte sich erschöpft, Irlands Nordosten brauchte Frieden. Gemeinsam steuerten sie die Entwicklung der Republikanerbewegung von einer blutrünstigen Terrortruppe in die ausschließlich mit demokratischen Mitteln vorgehende Partei Sinn Féin. Was McGuinness zu einem "starken Feind" machte, so hat es der britische Ex-Premier Tony Blair ausgedrückt, machte ihn auch zu "einem starken Friedensbringer".
Martin McGuinness – einer seiner Vornamen war Pacelli nach dem damaligen Papst Pius XII. – wuchs mit sechs Geschwistern in ärmlichsten Verhältnissen in der Bogside von Derry auf, jenem Slum für Katholiken, der später als Widerstandszone gegen die brutale Unterdrückung durch die unionistische Mehrheit berühmt werden sollte. Der Schulabgänger wollte Mitte der 1960er-Jahre Automechaniker werden und erlebte die Diskriminierung am eigenen Leib. Bei der Bewerbung wurde er nach der Sekundarschule gefragt, die er besucht hatte – als sich daran McGuinness' katholische Konfession ablesen ließ, flog der hoffnungsvolle Kandidat hochkant aus der Werkstatt. Stattdessen absolvierte er eine Fleischhauerlehre, was den Boulevardzeitungen später hübsche Schlagzeilen lieferte.
Kein Leugnen
Denn bald gehörte McGuinness nicht nur zu einer Generation desillusionierter junger Katholiken, die dem Unterdrückerstaat mit Gewalt zu Leibe rückten. Am berühmten "Blutsonntag" im Jänner 1972, als die britische Armee 13 unbewaffnete Demonstranten erschoss, war er bereits IRA-Führer, wurde 1973 wegen Sprengstoffdelikten in Südirland zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt. Wenig später habe er die IRA verlassen, behauptete McGuinness später. Glaubwürdigen Recherchen unabhängiger Experten zufolge gehörte er bis zur Selbstauflösung der Terrorgruppe dem sogenannten IRA-Armeerat an. Anders als Adams leugnete McGuinness jedenfalls in späteren Jahren seine gewalttätige Vergangenheit nicht, was die Aussöhnung mit den einstigen Gegnern erleichterte.
Vor zehn Jahren wagte der asketische Antialkoholiker einen Schritt, der die Fanatiker beider Seiten in Wallung brachte. Zusammen mit dem protestantischen Fundamentalistenprediger Ian Paisley übernahm der bekennende Katholik die Führung der Allparteienregierung Nordirlands. Rasch wurden die Auftritte der einstigen Todfeinde als "Allianz der Kicherbrüder" legendär. Der mutige Schritt ebnete den Weg zu einer Normalisierung der Politik in der britischen Provinz, wenn der Friedensprozess nun auch durch den Brexit gefährdet ist.
Anfang Jänner erzwang der an einer seltenen Herzkrankheit leidende McGuinness durch seinen Rücktritt Neuwahlen zum Belfaster Landtag, an denen er zu Monatsbeginn bereits nicht mehr teilnehmen konnte. Er hinterlässt seine Frau und vier erwachsene Kinder – und die Gewissheit, dass selbst die vertracktesten politischen Konflikte durch geduldiges Zuhören und Kompromissbereitschaft gelöst werden können. (Sebastian Borger aus London, 21.3.2017)