Laufen kann ganz schön anstrengend sein: Ob Wearables oder Gadgets bei der Steigerung der Leistung helfen können, ist fraglich.

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Dauerlaufen, neudeutsch Running, ist ein Trendsport mit hohen Zuwächsen in allen Altersklassen, besonders aber bei Älteren und Frauen. "Der Fitness- und Lifestyle-Markt der Activity-Tracker und anderer elektronischer Geräte verdoppelt sich aktuell", sagt Urs Weber, Ausrüstungsexperte des deutschsprachigen Laufmagazins "Runner's World". Längst hat die Digitalisierung der Welt auch Sporttreibende einge- oder sogar überholt, scheint es. Tracken, taggen, teilen – so lauten die Schlagworte der Stunde. Wie ständig neue Erfindungen rund um Fitness und Laufen beweisen.

Auf eigenen Läufermessen werden "Laufklamotten, Ernährungstipps, Trainingspläne, Fitnessarmbänder, Beautyprodukte" angeboten. Ein gigantischer Markt – der beständig wächst: Rund 18 Prozent der Österreicher, also etwa 1,3 Millionen, schnüren mindestens einmal wöchentlich den Laufschuh, fand eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Spectra vor eineinhalb Jahren heraus.

Ständige Selbstoptimierung

Dahinter liegt ein Wertewandel – und ein Gebot: das der ständigen Selbstoptimierung. "Mit unserem Angebot an digitalen Apps, individualisierten Trainingsplänen und Gesundheitstipps geben wir Menschen die nötigen Werkzeuge in die Hand, um das Beste aus sich herauszuholen und sich zur besten Version ihrer selbst zu entwickeln", so zitiert die Deloitte-Studie "Der deutsche Fitness-Markt 2016" Daniel Sobhani, Gründer der App Freeletics. Diese gehört mit der Lauf-App Runtastic und der Trainings-App 7-Minuten-Workout zu den umsatzstärksten der Branche.

Die Digitalisierung erlaubt es dabei, per Smartphone, Tablet und Smart TV zeit- und ortsunabhängig aktiv zu werden. Dazu kommt: "Mediennutzer haben sich von passiven Konsumenten zu aktiven Produzenten von Medieninhalten entwickelt", so die Studie. Ich poste, also bin ich – lautet die heutige Zeitgeistformel.

125 Millionen Läufer gibt es in den USA und Europa, schreibt das Techno-Start-up Kinematix auf seiner Website. Für diese hat es Tune (etwa 200 Euro, www.kinematix.pt), entwickelt: Ein System aus Einlegesohlen mit Druckpunktsensoren misst Boden- wie Fersenkontakt sowie das Abrollverhalten. So sollen Läufer aller Könnerstufen Stil und Technik verbessern.

Tune misst u.a. Boden- und Fersenkontakt.
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Aber kann ein externes Messgerät eigenes Körpergefühl ersetzen? Anne-Marie Flammersfeld ist Ultratrail-Läuferin, Diplom-Sportwissenschafterin und arbeitet in St. Moritz als Personal Trainer. Sie sagt: "Den einen Laufstil gibt es nicht. Jeder Mensch hat seine individuelle Technik. Ich sehe den Nutzen des Geräts eher bei Problemfüßen oder in der Reha." Und Urs Weber vermutet: "Es könnte eher bei der Wahl des Laufschuhs selbst helfen als bei der Verbesserung des Stils."

Mit einem elektronischen Shirt heizt das Label Clim8 (etwa 140 Euro, www.myclim8.com) Sportlern ein: Der sogenannte intelligente Stoff des Smart-Textiles-Shirts misst die Körperwärme per Sensoren, spielt die Infos an eine batteriebetriebene Box und sorgt über integrierte Klimazonen für Temperaturausgleich bei Wärme oder Kälte. Die Sportwelt freut das und verlieh dem E-Shirt auf der Sportartikelmesse Ispo prompt einen Brandnew-Award.

Elektronisches Shirt von Clim8.
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Das hehre Ziel: "Eine Welt, in der Menschen nicht auf besseres Wetter warten müssen." Was Laufexpertin Flammersfeld eher kaltlässt: "Vielleicht ergibt das bei Expeditionen Sinn. In der Zivilisation halte ich diese Funktion für weniger relevant. Outdoor-Sport findet nun mal draußen in der Kälte statt. Und sinnvollerweise müsste der gesamte Körper ,verkabelt' sein, nicht nur partielle Zonen." Weber meint: "Zudem ist das Wärmeempfinden ja ganz individuell. Und ich bezweifle, dass Technik diese Wärmeleistung erbringen kann."

Stress durch Geräte?

Auch das Sichtgerät Radar Pace von Oakley (ab 350 Euro, www.oakley.com/radar-pace) macht staunen. Eine dialogfähige Brille, die spricht, Fragen beantwortet und Push-Nachrichten oder Lauftipps liefert – ist das nun Hype, Hightech oder echte Hilfe? Die Uhr als Coach, so die Idee. Klare Ansage? Die kommt vom echten Trainer. Anne-Marie Flammersfeld sagt: "Ausprobieren würde ich das Modell schon. Doch Push-Nachrichten haben nix mit Sport zu tun und stressen mich eher." Dass diese Technik noch nicht ausgereift sei und für die ewige Verheißung eines besseren Ich stehe, merkt Urs Weber an. Für ihn steht der Sport im Vordergrund, nicht aufwendig modifizierbares Gerät.

Dialogfähige Brille von Oakley.
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Erfindungsreichtum beweisen auch sogenannte Fitness-Tracker wie die TomTomTouch (149 Euro, www.tomtom.com) die mit minimalen Stromemissionen Fett- und Muskelanteil bestimmen will.

Fitness-Tracker von TomTom.
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Oder Smartwatches wie die "Fenix"-5er-Serie von Garmin (zwischen 330 und 730 Euro, www.garmin.com) mit ständig verbesserten "skills" wie installierten Karten, WLAN-Verbindung und Bluetooth-Schnittstelle für schnellen Datentransfer.

Dazu Profi Urs Weber: "Laufdaten zu vergleichen übt sozialen Druck aus. Mir persönlich ist der Leistungsgedanke nicht wichtig. Vieles scheint machbar, das wenigste sinnvoll, und der Markt ist noch in der Findungsphase. Wirklich positiv wirken sich Messgeräte allerdings für die Motivation aus, denn sie zeichnen aktive ebenso wie passive Phasen auf."

Flammersfeld fragt: "Wer hat am Ende wirklich Zugriff auf all die Daten? Ich will möglichst wenige Spuren im Internet hinterlassen." Sie selbst kommt beim Laufen mit nur drei Funktionen aus: Höhenmeter, GPS und Herzfrequenz. Letzteres empfiehlt sie auch Kunden für ein besseres Körpergefühl.

Smartwatch von Garmin.
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Apropos Körper: Für manchen hart zu schlucken ist diese Pille – die elektronikgefüllte Kapsel "E-Celsius" von BodyCap (Preis auf Anfrage, www.bodycap-medical.com) wurde für Wettkämpfe im Extrem- und Profisport entwickelt, um die Kerntemperatur akkurat zu messen, aufzuzeichnen oder in Echtzeit zu funken. So will die Pille Unterkühlung oder Überhitzung entgegensteuern.

Überwachung per E-Kapsel von BodyCap.
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Ein Plus: Die Daten sind allein für Nutzer einsehbar. "Inzwischen setzen wir die Kapsel in der Medizin ein, vielleicht bald auch mit Kamera oder als Chip", sagt Sébastien Moussay vom französischen Unternehmen BodyCap. "Interessant wäre, wenn die Pille Restenergie oder Wasserhaushalt messen könnte. Letzterer spielt bei Krämpfen eine wichtige Rolle", überlegt Flammersfeld.

Das Fazit? Die Vermessung der Welt scheint längst eine eigene Disziplin. Im Laufrad der Selbstoptimierung und beim kollektiven Datensammeln läuft der gläserne Mensch Gefahr, die Kontrolle an fremdbestimmte Überwachung zu verlieren – oder selbst zum Datenfetischist zu werden.

Urs Weber beobachtet die Szene "neugierig, aber distanziert". Er glaubt eher an die somatische Intelligenz als an die technologische: "Der Körper weiß am besten, was er braucht!" (Franziska Horn, RONDO, 3.4.2017)

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