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Bulgariens Premierminister Boiko Borissow (rechts) hat die vorgezogene Parlamentswahl aus taktischen Gründen herbeigeführt, vermuten Experten. Mit seiner Partei Gerb liegt er in aktuellen Umfragen aber nur knapp vor den Sozialisten.

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Sofia/Athen – Als der türkische Sozialminister die Wahl von Dost empfahl, einer neuen protürkischen Partei in Bulgarien, war das Maß voll. Sofia rief seine Botschafterin aus Ankara zurück. Insgesamt fünf türkische Bürger hat die bulgarische Staatssicherheitsbehörde mittlerweile zu unerwünschten Personen erklärt. Ihre Aktivitäten in multiethnischen Regionen des Landes bedrohten die nationale Einheit Bulgariens, hieß es zur Begründung.

Je näher der Termin der Parlamentswahl am Sonntag rückt, umso lauter werden die Rufe nach einer Sperrung der Grenze zur Türkei und nach einem klaren Wort aus Brüssel an die Führung um den autoritär regierenden Präsidenten Tayyip Erdoğan. Denn Ankaras Frontalkurs mit Europa bekommt auch der kleine Nachbar der Türkei im Norden zu spüren: Offener als je zuvor seit Bulgariens Übergang zur Demokratie mischt sich die türkische Regierung in den Wahlkampf ein.

Ankaras Interesse richtet sich auf die türkische Minderheit in Bulgarien – mehr als zehn Prozent der Bevölkerung oder rund 700.000 Menschen – sowie auf die etwa 60.000 türkischstämmigen Bulgaren, die in der Türkei leben, aber ihren Pass behalten haben und bei Abstimmungen zum Teil organisiert mit Autobussen über die Grenze chauffiert werden.

Sie alle wählten bisher diszipliniert die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) von Ahmet Dogan, der wegen seiner nachgesagten politischen Seilschaften und ausgedehnten wirtschaftlichen Interessen mutmaßlich einflussreichsten Person im Balkanland.

Doch Dogan feuerte Ende 2015 seinen Parteivorsitzenden Ljutwi Mestan. Der Grund war der Abschuss des russischen Kampfjets im türkisch-syrischen Grenzgebiet durch die türkische Armee. Mestan verteidigte dies auf Wunsch der türkischen Regierung im Parlament in Sofia.

Regionalmacht Russland

Dogan tobte. Mehr als die Türkei zählen für die graue Eminenz der bulgarischen Politik die Geschäftsinteressen in Russland, sind politische Beobachter in Sofia überzeugt. Russland ist die andere Regionalmacht, die im EU-Land Bulgarien mitmischt.

Während Ankara nun offen die neue Partei Dost von Ljutwi Mestan unterstützt – "Dost" ist Türkisch und heißt "Freund"; der türkische Botschafter in Sofia trat auch in einem Dost-Wahlspot auf –, wünscht sich Moskau die Rückkehr der Sozialisten an die Macht.

Seit dem Sieg ihres Kandidaten Rumen Radew bei den Präsidentenwahlen, des "roten General", wie der frühere Chef der bulgarischen Luftstreitkräfte genannt wird, spüren die Sozialisten der BSP wieder Rückenwind. Deren neue Vorsitzende Kornelia Ninowa schlug im Wahlkampf zum Teil nationalistische Töne an und forderte einen respektvolleren Umgang der EU mit Bulgarien. Dies bezog sich auch auf das Pipelineprojekt South Stream der russischen Gazprom. Die Sozialisten hatten es während ihrer kurzen Regierungszeit vom Sommer 2013 bis zum Sommer 2014 vorangetrieben. Die EU-Kommission dagegen blockierte, bis Russlands Präsident Wladimir Putin verärgert das vorläufige Aus für South Stream verkündete. Die BSP tritt auch für ein Ende der EU-Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der Krim und des Separatistenkriegs in der Ukraine ein. Die Sanktionen hätten Bulgariens Wirtschaft bisher umgerechnet 667 Millionen Euro gekostet.

Herbeigeführt hat die vorgezogenen Wahlen der bisherige konservative Premier Boiko Borissow. Es war ein taktischer Zug, erklärt Dimitar Ganew, ein Politologe vom Sofioter Wahlforschungsinstitut Trend. Borissow habe geglaubt, er werde nach und nach seinen Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, wenn er weiter die komplizierte Minderheitsregierung anführte mit Unterstützung von außen durch das Nationalistenbündnis Patriotische Front und mit all den Kompromissen, die eine solche Koalition verlangt.

Ob Borissows Rechnung aufgeht, ist allerdings unsicher. Seine Partei Gerb liegt nur knapp vor den Sozialisten. "Seit Jahrzehnten hat es in Bulgarien keine solchen umkämpften Parlamentswahlen gegeben", sagt Ganew. (Markus Bernath, 23.3.2017)