Günter Lubitz will nicht mehr, dass sein Sohn als "depressiver Massenmörder" hingestellt wird.

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Lehrer, Schüler und Eltern gedachten der Absturzopfer am Gymnasium in Haltern.

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Die Anspannung ist Günter Lubitz deutlich anzusehen. Flankiert von seinen Anwälten und Personenschützern betritt er an diesem 24. März einen großen Saal in einem Berliner Hotel. Trotz der vielen anwesenden Journalisten und Kameraleute ist es dort sehr still.

Jeder der Anwesenden weiß: Dies wird eine außergewöhnliche Pressekonferenz – schon alleine des Termins wegen. Am Tag genau vor zwei Jahren riss Germanwings-Copilot Andreas Lubitz 149 Menschen mit in den Tod, als er auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf den Airbus absichtlich in die französischen Alpen steuerte.

Eigenes Gutachten erstellt

So lautet das Ergebnis des Abschlussberichts der französischen und der deutschen Behörden über die Katastrophe. Doch die Familie Lubitz glaubt nicht daran und hat den Luftfahrtexperten Tim van Beveren mit der Erstellung eines eigenen Gutachtens beauftragt.

Dieses stellt Lubitz ausgerechnet am zweiten Jahrestag vor – während an der Unglücksstelle in Frankreich 500 Hinterbliebene trauern. Lubitz weiß, dass kritische Fragen nach dem Zeitpunkt kommen werden, zumal schon zahlreiche Hinterbliebene diesen als Affront bezeichnet haben.

"Wir haben den Tag nicht gewählt, um Angehörige zu verletzen, sondern um Gehör zu finden", sagt er. Denn er, seine Frau und sein jüngerer Sohn müssten damit leben, dass Andreas Lubitz "in den Medien als depressiver Massenmörder dargestellt wird".

Das aber sei falsch. "Unser Sohn", sagt Lubitz, "war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv", es habe auch keine Selbstmordabsichten gegeben, vielmehr habe er 2008 und 2009 eine Depression überwunden und sei zuletzt "lebensbejahend" gewesen.

Vermutungen ohne Beweise

Was aber ist dann an jenem 24. März 2015 passiert, wenn Lubitz den Absturz nicht herbeigeführt haben soll? "Da muss ich Sie leider enttäuschen. Ich weiß es nicht", antwortet van Beveren und fügt hinzu: "Wir alle haben Vermutungen, aber keine Beweise."

Er hat sich durch die Ermittlungsakten gearbeitet und zählt nun – aus seiner Sicht – zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche auf. So ergebe sich nach der technischen Auswertung zwar, dass Lubitz im Cockpit geatmet habe, nicht aber, dass er bei Bewusstsein war. Auch habe es an dem Tag Turbulenzen gegeben, die nicht auf dem Wetterradar angezeigt waren. Dies hätten ihm Piloten bestätigt, die auch die Route geflogen seien, so van Beveren. Auch das Aussperren des Piloten spricht er an. Es gebe dafür keinen Beweis, er habe aber den Hinweis bekommen, dass bei dem Airbus Tage zuvor schon eine Crew Probleme mit dem Keypad hatte, das die Cockpittür öffnet. Doch sein Hinweis an die Behörden sei nicht weiter verfolgt worden.

Nicht erklärlich findet der Experte auch, dass die Maschine laut Flugdatenschreiber gleichzeitig im manuellen und im automatischen Sinkflug war, was sich eigentlich ausschließe.

"Ich habe keine Glaskugel"

"Ist Ihr Sohn unschuldig?", wird Lubitz gefragt. Die Antwort: "Wir sind auf der Suche nach der Wahrheit." Van Beveren sieht es so: "Ich habe keine Glaskugel und halte mich an Fakten. Was ich sagen kann, ist: Man kann nicht behaupten, dass Andreas Lubitz schuldig ist." Die Familie fordert neue Ermittlungen und will das Gutachten ins Internet stellen. Die deutsche Regierung, die französischen und die deutschen Behörden zur Flugunfalluntersuchung weisen die Vorwürfe zurück. (Birgit Baumann aus Berlin, 24.3.2017)