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Zum Ausrasten sind manche Geräusche, die uns im Alltag quälen: Hunde, die kläffen, Menschen, die Geige üben, ein Rascheln, das aus der Wand kommt.


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Autor Kurt Palm: "Ich habe mir da schon etwas ausgedacht."

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So kann es nicht mehr weitergehen. Zuviel ist passiert in letzter Zeit. Aber zuvor wird noch reiner Tisch gemacht. Tabula rasa. Jetzt schon wieder. Irgendwo im Haus bohrt jemand ein Loch in eine Wand. Wenn ich mich auf den Boden lege, kann ich es ganz deutlich hören. Das Bohrgeräusch kommt aus einer Wohnung unter mir. Aber es kann nicht die Wohnung direkt unter mir sein, weil die alte Frau ja ausgezogen ist.

Na ja, eigentlich ist sie nicht ausgezogen, sondern nach einem Sturz ins Krankenhaus gekommen. Das Problem war, dass diese Frau fast taub war, und deshalb ihren Fernsehapparat immer auf volle Lautstärke gedreht hat. Außerdem hat sie einen Hund gehabt. So einen unglaublich fetten, grauen Dackel, der gestunken hat, dass einem schlecht geworden ist, wenn man ihm im Stiegenhaus begegnet ist. Dass er dann die mit Reißnägeln gespickte Knacker gefressen hat, dafür konnte ich nichts.

Das darf doch nicht wahr sein, da fängt jemand an, seine Wohnung zu renovieren. Letztes Jahr wäre ich fast verrückt geworden, als im Haus eine Wohnung renoviert wurde. Diese Bohrgeräusche, ein Wahnsinn, wie beim Zahnarzt, nur einen Ton tiefer. Oder sind es zwei Töne? Schrecklich.

Gurrt da irgendwo eine Taube? Die Tauben sind ein eigenes Kapitel für sich. Ich hasse diese Tiere. Und wie ich sie hasse. Was ist das? Ist das die Müllabfuhr? Nein, heute kommt ja gar keine Müllabfuhr. Selbstverständlich weiß ich ganz genau, wann die Müllabfuhr kommt. Und natürlich auch, wann die Altpapiercontainer abgeholt werden. Es klingt so, als würde jemand ein Absperrgitter über ein Kopfsteinpflaster schleifen. Ein fürchterliches Geräusch.

Jetzt gurrt wieder eine Taube

Jetzt gurrt wieder so eine verdammte Taube im Lichthof. Im Winter werde ich dieses Granulat ausstreuen, das mir dieser freundliche Herr von der Taubenabwehrfirma verkauft hat. Unter der Hand natürlich. Das Zeug wird mit altem Brot vermischt und innerhalb weniger Stunden krepieren diese verdammten Viecher an Unterkühlung. Das Mittel funktioniert aber nur, wenn es weniger als fünf Grad hat. Muss ich also noch ein paar Monate warten.

Hoffentlich werde ich bis dahin nicht aus meiner Wohnung geworfen. Ich soll ja gepfändet werden, weil ich angeblich seit Monaten keine Miete mehr bezahle. Lächerlich. Einmal waren die Gerichtsvollzieher bereits bei mir. Da habe ich ihnen als Zuckerl eine alte elektrische Kaffeemühle überlassen, die ich um drei Euro auf einem Flohmarkt gekauft habe. Die Mühle hat gar nicht mehr funktioniert, aber das wussten diese Idioten natürlich nicht.

Gekommen sind sie wegen dieser Rechnung für die Fliesen im Bad. Der Fliesenleger hat mich geklagt, weil ich seine Arbeit nicht bezahlt habe. Dabei war das gar nicht meine Schuld. Schuld war dieses Geräusch, das so klang, als wäre ein Abfluss verstopft. Oder als würde im Boden irgendein furzendes Ungeheuer hausen. Das war nicht zum Aushalten. Ich bin fast durchgedreht. Stundenlang bin ich auf dem Fliesenboden gelegen und habe gehorcht. Mein Ohr hat schon total wehgetan. Es war schlimm. Irgendwann habe ich Angst bekommen. Nein, also nicht direkt Angst.

Sagen wir so: Ich bin wütend geworden und habe mir den größten Hammer aus meinem Werkzeugkoffer geholt. Damit habe ich an der Stelle, wo ich das furzende Ungeheuer vermutet habe, die Fliesen zertrümmert. Ich musste ja schauen, was da los ist. Offenbar habe ich aber in meiner Wut so fest zugeschlagen, dass nicht nur die Fliesen zerbrochen sind, sondern auch das Abflussrohr. Das Dumme war, dass dann das Wasser durch die Decke in die Wohnung unter mir gesickert ist und es einen ziemlichen Ärger mit der Hausverwaltung gab. Alle waren plötzlich gegen mich.

Die alte Frau, die ohnehin nichts gehört hat, und die Hausverwaltung, die mir seit drei Monaten mit der Zwangsräumung droht, weil ich angeblich mit der Miete im Rückstand bin. Dabei war das mit dem Wasserrohrbruch -. Was ist das? Jetzt knarren wieder diese Sesselleisten. Vielleicht wegen der Hitze. Ich habe mir da extra einen Silikonfugendichter gekauft, den ich oben bei den Leisten hineinschmiere, damit das Geräusch aufhört. Muss ich morgen gleich wieder nachdichten.

Dass das mit der Extrawurstsemmelverkäuferin nicht geklappt hat, ärgert mich immer noch. Bianca hat sie geheißen. Andererseits hätte sie ohnehin nicht zu mir gepasst, weil sie viel zu verklemmt war. Ein einziges Mal ist sie bei mir gewesen und da habe ich ihr dieses Gedicht vorgelesen, das ich für sie geschrieben habe. Daraufhin ist sie aufgestanden und gegangen. Oder sagen wir so: Sie wollte gehen, aber ich habe sie zurückhalten und an den Oberarmen gepackt. Sie hat zu schreien begonnen, da habe ich dann ein bisschen fester zugedrückt. Ich wollte ja nicht, dass irgendjemand im Haus etwas hört. Okay, einen kleinen Schubser habe ich ihr auch gegeben, aber passiert ist ihr nichts.

Die Ohrfeige hat sie schließlich zur Besinnung gebracht. Dabei war das Gedicht sehr gut. Als einer, der in der Werbebranche tätig ist, kann ich das beurteilen. Da muss man ja auch literarisch versiert sein. Der Extrawurstsemmelverkäuferin hat das Gedicht aus unerfindlichen Gründen aber nicht gefallen. Sie hat nur den Kopf geschüttelt und ist aufgestanden. Na ja, eigentlich hat sie sich gar nicht hingesetzt gehabt. Sie ist in der Tür stehen geblieben und hat so komisch geschaut. Dann hat sie gefragt, weshalb ich so viele Schachteln im Zimmer habe. Blöde Frage. Ich habe nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass ich da alles aufbewahre, was mir wichtig ist.

Jetzt raschelt es wieder

Moment, was raschelt da? Da raschelt doch etwas hinter einem der Kartons. Um Gottes willen, wenn das Mäuse sind, drehe ich durch. Vor Jahren habe ich einmal Mäuse in der Wohnung gehabt. Ich habe sofort bei der Hausverwaltung angerufen und mich darüber beschwert. Die Frau am Telefon hat aber nur gesagt, dass sie das zum ersten Mal hört, dass sie aber jemanden vorbeischicken wird. Ich habe das natürlich abgelehnt. In meine Wohnung kommt mir niemand von der Hausverwaltung.

Auch sonst lasse ich niemanden herein. Außer eben Frauen wie Bianca. Ich habe mir dann ein paar Mausefallen gekauft, mit denen ich aber nur Wollmäuse gefangen habe. Riesige Wollmäuse. Im Laufe der Woche habe ich dann tatsächlich sechs echte Mäuse gefangen. Dann war Schluss. Wie die in meine Wohnung gekommen sind, weiß ich nicht. Mir ist das bis heute ein Rätsel.

Da, jetzt raschelt es wieder. Das darf doch nicht wahr sein. Ich muss ruhig bleiben, sonst bekomme ich noch einen Herzinfarkt. Oder kommt das Geräusch von woanders? Womöglich haben sich im Fußboden irgendwelche Tiere eingenistet. Wie damals im Badezimmer. Obwohl ich da gar keine Tiere gefunden habe. Wenn ich in der Zwischendecke Tiere hätte, müsste ich sofort den Fußboden herausreißen und Nachschau halten. Ich werde mich auf den Fußboden legen und horchen.

Allerdings muss ich aufpassen, dass ich nicht wieder eine Ohrenentzündung bekomme. Die HNO-Ärztin hat gemeint, dass da ein ganz komischer Dreck drinnen ist. Dann hat es zu allem Überfluss auch noch zu rauschen begonnen. Das war der absolute Wahnsinn. Ich wusste nicht mehr, ob es draußen rauscht oder ob ich meine eigene Blutzirkulation höre. Zum Glück hat mich die HNO-Ärztin auch ohne E-Card behandelt. Ich habe ja keine E-Card bekommen, weil diese Idioten von der Versicherung gemeint haben, ich hätte keinen richtigen Beruf.

Dabei bin ich nachweislich in der Public-Relations-Branche tätig. Ich habe ihnen sogar meine Bestätigung von diesem Communications College in Hamburg gezeigt, bei dem ich einen Fernkurs belegt habe. Dafür habe ich siebenhundert Euro bezahlt. Aber der Trampel bei der Sozialversicherung hat nur den Kopf geschüttelt und gemeint, dass das kein Nachweis für die Ausübung eines Berufs sei.

Wie gut, dass man in Wien nicht an jeder Straßenecke eine Schusswaffe kaufen kann, sonst wäre ich längst zum Massenmörder geworden. Bianca hätte ich aber nicht erschossen. Bei der hat es genügt, dass ich ihr eine runtergehauen habe. Es war keine feste Watsche, eher eine leichte. Glaube ich zumindest. Aber warum musste sie auch so ein Theater machen? Wo Bianca jetzt ist, würde mich schon interessieren.

Ich hoffe nur, dass die Wohnung über mir nicht gleich wieder vermietet wird. Wahrscheinlich wird das aber noch eine Zeitlang dauern, weil ja gar nicht klar ist, ob diese Japanerin nur vorübergehend weggefahren ist. Jedenfalls war das die Hölle. Da gibt es weltweit Millionen leere Wohnungen und dann muss diese Yumiko Kobayashi ausgerechnet in die Wohnung über mir einziehen. Kann mir das jemand erklären?

Anfangs habe ich mir noch nicht viel dabei gedacht, obwohl mir gleich Übles schwante, wie ich den ersten Geigenton gehört habe. Viele Japanerinnen fahren ja nach Wien, um hier ein Instrument zu lernen. Weiß der Kuckuck, warum. Japan hat 127.264.438 Einwohner, aber scheinbar keine Geigenlehrer. Diese Yumiko Kobayashi hat also jeden Tag Geige gespielt. Nein, falsch. Sie hat Geige geübt. Und zwar tagelang das gleiche Stück. Das treibt einen natürlich in den Wahnsinn. Ich habe mich auf die Leiter gestellt und das Geigengekratze zum Beweis sogar aufgenommen.

Ich habe da so ein altes Aufnahmegerät, mit dem ich jedes Geräusch aufnehme. Man kann ja nie wissen. Das Gurgeln im Boden des Badezimmers, das Gekläff der Hunde, das Geschrei der Frauen beim Orgasmus oder wenn sie geschlagen werden, das Gequietsche der Straßenbahn, das Scheppern der Gastherme, das Gurren der Tauben, das Bohren in irgendwelchen Wohnungen, alles nehme ich auf.

Das irritiert mich natürlich

Oft hört man die Geräusche leider nicht mehr richtig, weil es auf dem Band ein Grundrauschen gibt. Das irritiert mich natürlich, weil ich nicht weiß, ob es auf der Welt am Ende nicht generell ein Grundrauschen gibt. Ich habe einmal gelesen, dass es Stille in dem Sinn eigentlich gar nicht gibt. Im Universum soll es auch sehr laut sein. Allerdings können wir das nicht hören, weil das andere Frequenzen sind. Wie bei den Elefanten. Die verständigen sich auch, ohne dass wir das mitbekommen.

Selbst Taube hören ihr eigenes Blut zirkulieren. Tauben wahrscheinlich auch. Ein Horror, wenn ich mir vorstelle, dass ich Tag und Nacht nichts anderes höre, als das Zirkulieren meines eigenen Blutes. Interessant wäre zu wissen, ob ein hoher Blutdruck anders klingt als ein niedriger. Wahrscheinlich schon. Der niedrige Blutdruck klingt sicher dumpfer.

Yumiko heißt auf Deutsch übrigens "schönes Kind". Den Namen muss diese Yumiko aber zu einem Zeitpunkt bekommen haben, als man noch nicht wissen konnte, wie sie später einmal aussehen wird. Ich habe das Gekratze der Japanerin jedenfalls drei- oder viermal aufgenommen. Da ich wissen wollte, was das für ein Stück ist, bin ich mit meinem Aufnahmegerät in einen CD-Laden gegangen und habe es einer Verkäuferin vorgespielt. In den großen CD-Geschäften kann man aber niemanden mehr fragen. Da stehen ja nur noch Fleischhacker- oder Konditorlehrlinge hinter der Budel, die von Musik keine Ahnung haben.

Zum Glück war zufällig ein Kunde anwesend, der gleich gewusst hat, was das für ein Stück ist. Das Gekratze war demnach Teil der "Instruktiven Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten", Opus 31, eines gewissen Carl Henning. Ich habe diesen Namen noch nie gehört, habe ihn mir aber gleich notiert. Das muss man sich einmal vorstellen: Da fliegt diese Yumiko Kobayashi 9132 Kilometer von Tokio nach Wien, um mich mit Übungsstücken eines Herrn Henning zu quälen. Und dann unterzeichnen sie ausgerechnet in Japan das Kyoto-Protokoll über den Klimaschutz.

Diese Idioten sollen mit dem Klimaschutz einmal im eigenen Land anfangen und allen Japanerinnen verbieten, in Wien ein Musikinstrument zu lernen. Was glauben die eigentlich? Dass hier die Geigen auf den Bäumen wachsen? Oder dass an jeder Straßenecke die Anna Netrebko singt? In Wirklichkeit scheißen die Hunde auf die Straße und die Besoffenen schiffen ungeniert an die Hausmauern. Aber das ist diesen Yumikos und Sakuras, oder wie sie sonst noch alle heißen, vollkommen egal. Die sind glücklich, wenn sie in Wien "Instruktive Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten", Opus 31, von Carl Henning spielen können.

Jetzt bellt wieder dieser Köter

Jetzt bellt wieder dieser verdammte Köter im Nachbarhof. Aber ich schwöre, dieser Hund lebt nicht mehr lange. Ich habe mir da schon etwas ausgedacht. Jetzt wird reiner Tisch gemacht. Der Herr von der Taubenabwehrfirma hat mir nämlich auch wegen des Hundes einen guten Tipp gegeben. Das Problem mit dieser Yumiko war ja nicht nur das Geigenspiel, sondern auch dieses unerträglich laute Getrampel in ihrer Wohnung.

Anfangs wusste ich gar nicht, was da los war. Erst am dritten oder vierten Tag ist mir klar geworden, dass diese Wahnsinnige Holzschlapfen trägt. Kaum ist sie nach Hause gekommen, ist sie schon in ihre Holzschlapfen geschlüpft, und keine fünf Minuten später ist die Geigerei losgegangen. Natürlich habe ich jedes Mal sofort an die Decke geklopft, aber das war ihr vollkommen egal. Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass das normal ist, dass jemand klopft. Ich habe ja keine Ahnung, wie die Japaner wohnen, aber soviel ich weiß, sind dort die Wohnungen so gebaut, dass praktisch jeder jeden hören kann. Ich glaube, dass das mit den Erdbeben zusammenhängt.

Deshalb sind die Wände in Japan auch so dünn. Etwas in diese Richtung. Sobald sie also den ersten Schritt in der Wohnung gemacht hat, habe ich mit dem Besenstiel gegen den Plafond geklopft, wodurch sich im Laufe der Zeit natürlich Dellen gebildet haben. Einen Zusatzbesen hatte ich auch immer griffbereit neben dem Bett liegen. Da habe ich mir so eine Verlängerung gebaut, damit ich nicht extra aufstehen muss und die Zimmerdecke auch im Liegen erreiche. Das Blöde war nur, dass irgendwann einmal der Putz zu rieseln begonnen hat und das ganze Zeug auf meinem Kopf gelandet ist.

Nach drei Wochen hat es mir dann gereicht und ich habe ihr einen Zettel an die Tür gehängt. Aber leider zeigte sie keine Spur von Einsicht. Also habe ich sie eines Tages im Stiegenhaus abgefangen. Dass sie dann die Treppe hinuntergestürzt ist, dafür konnte ich nichts. Es war wie bei der alten Frau. Jetzt herrscht Ruhe in den Wohnungen über und unter mir. (Kurt Palm, Album, 25.3.2017)