Nur symbolisch mit Füßen getreten: Wie jedes Jahr setzte sich die Leipziger Buchmesse in zahlreichen Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen mit der Presse- und Meinungsfreiheit auseinander.

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Leipzig – Messen sind nicht unbedingt Orte der Kontemplation. Auch Buchmessen nicht. Und in Leipzig kann es einem beim Durchpflügen der qualvollen Enge der Messehallen passieren, dass plötzlich der Schimpfspezialist Kapitän Haddock vor einem steht. Oder ein Klingone – und manchmal eine Kriegerkönigin mit Langschwert.

Dann weiß man, dass man sich in der Nähe der Halle 1 befindet, wo jüngere und ältere Aficionados auf der Manga-Comic-Convention dem Cosplay frönen, bei dem sie in zuweilen selbstgenähten Verkleidungen sowie mit viel Schminke und Perücken in die Haut ihrer Lieblingscomicfigur schlüpfen.

Darstellungsdruck

Das verleiht dieser Messe einen Hauch von Literaturjahrmarkt und Karneval, was nicht schaden muss. Denn unter verstärktem Darstellungsdruck scheint auch die Buchbranche zu stehen, die bei einem jüngeren Publikum als nicht besonders sexy gilt. Auch deshalb versucht man in Leipzig – neben der Manga-Comic-Convention – Blogger, (digitale) Selbstverlage und junge, technologiegetriebene Neugründungen auf Augenhöhe in das Messegeschehen zu integrieren. Was nicht schlecht zu gelingen scheint.

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Insgesamt hat die Branche, nachdem jahrelang das E-Book als Gottseibeiuns der Branche und Fanal des digitalen Wandels an die Wand gepinselt wurde (es hat mittlerweile einen Umsatzanteil von 4,6 Prozent), ein neues Wort für sich entdeckt: crossmedial. Das heißt, der Text, der gern Content genannt wird, soll auf verschiedenen medialen Kanälen digital und analog an den "User" gebracht werden.

"Wir können Buch"

"Wir können Buch – und zwar in allen Ausformungen", meinte auch Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der sich an einer Pressekonferenz der Kanak-Sprak des Autors Feridun Zaimoglu bediente. Ob dem weiter so sein werde, so Skipis, hinge auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die sich, was die Urheberrecht betreffe, rapide verschlechtern würden.

So sei etwa das berüchtigte VG-Wort-Urteil des Bundesgerichtshofs – es besagt, dass in Deutschland Verlage nicht mehr an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft Wort beteiligt werden (ihre 50 Prozent fallen an die Autoren) und sogar rückwirkend auf zwei Jahre die Ausschüttungen zurückzahlen müssen – für kleine Verlage existenzbedrohend. Weiters plane die Bundesregierung im Bereich Bildung und Wissenschaft weitere Verschlechterungen, indem künftig ein Viertel eines wissenschaftlichen Werkes kostenlos verteilt und kopiert werden dürfe, was einer teilweise Enteignung der Wissenschaftsverlage gleichkommen würde, so Skipis.

Hinfallen und Anlehnen

Viel wurde in zahlreichen Veranstaltungen und auf Messepodien auch über alternative Fakten, Populismus und Meinungsfreiheit diskutiert. Zu Letzterer gehört, dass auf der Messe Verlage zu finden sind, die Bankern den Tod und Merkel und Schäuble ins Gefängnis wünschen. In Erinnerung wird Matias Énards Rede bleiben, die er anlässlich der Entgegennahme des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung hielt. Nachzulesen ist sie unter www.boersenblatt.net. Und sonst? Sonst vereinte die Leipziger Buchmesse auch dieses Jahr Verschiedenstes unter ihren fünf Hallendächern – unter anderem die Kür des ungewöhnlichsten Buchtitels, der heuer an den Poetry-Slammer Sebastian 23 mit "Hinfallen ist wie Anlehnen, nur später" ging.

Es macht den nicht geringen Reiz dieser Buchmesse aus, dass an vier Tagen Kommerz und Liebhaberei, Event und ernsthafte Literaturvermittlung, lärmiges Heischen um Aufmerksamkeit und Konzentration aufeinandertreffen. Die Veranstalter vermelden einen neuen Rekord von 285.000 Besuchern für die Messe und das Lesefestival "Leipzig liest." (Stefan Gmünder, 26.3.2017)