Phillip Lenard (1862-1947): Physiker, Nobelpreisträger, Antisemit.

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In seinem vierbändigen Werk "Deutsche Physik" fantasierte Lenard von einer undeutschen, "jüdischen Physik".

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"Das hervorragendste Beispiel schädlicher Beeinflussung der Naturforschung von jüdischer Seite hat Herr Einstein geliefert." Dieser Satz, der kaum falscher sein könnte, stammt nicht von irgendeinem verwirrten (und antisemtischen) Pseudowissenschafter, sondern vom deutschen Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard. Und er zeigt auf sehr eindrucksvolle Art und Weise, wie die Wissenschaft in die Irre gehen kann, wenn sie sich statt von der Realität von Ideologie leiten lässt.

Lenard promovierte an der Universität Heidelberg und war gegen Ende des 19. Jahrhunderts Assistent von Heinrich Hertz in Bonn. Er entwickelte unter anderem eine Gasentladungsröhre, mit der später Conrad Röntgen die nach ihm benannte Röntgenstrahlung entdeckte. Lenard allerdings konnte sich nicht über diesen Erfolg (der Röntgen einen Physik-Nobelpreis einbrachte) freuen, sondern er beschuldigte Röntgen, seine Entdeckung gestohlen zu haben. Später beschäftigte sich der Physiker mit der Wechselwirkung von Licht und Materie, konnte die dort auftretenden Effekte allerdings nicht erklären. Das gelang erst Albert Einstein, der dafür ebenfalls mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Angriffe auf Einstein

Mittlerweile hatte aber auch Lenard selbst schon einen Nobelpreis bekommen (1905 für seine Arbeit über Kathodenstrahlen) – was seine Abneigung gegenüber Einstein allerdings nicht minderte. Ganz im Gegenteil: Philipp Lenard war einer der heftigsten Gegner Einsteins und der gesamten Relativitätstheorie. Mit den Entwicklungen der Physik Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Lenard generell ein großes Problem, auch die Quantenmechanik lehnte er ab. Seine Kritik war allerdings weniger wissenschaftlich als viel mehr ideologisch und antisemtisch begründet.

1936 veröffentliche Lenard ein vierbändiges Lehrbuch mit dem Titel "Deutsche Physik". In der Einleitung dazu schrieb er:

"Deutsche Physik?" wird man fragen. – Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheits-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. [Es] hat sich sehr breit eine eigentümliche Physik der Juden entwickelt, die nur bisher wenig erkannt ist, [...] und wer heute noch die Behauptung von der Internationalität der Naturwissenschaften verficht, der meint wohl unbewusst die jüdische, die allerdings mit den Juden überall und überall gleich ist. […] Die Wissenschaft ist und bleibt international!‘ wird man mir einwenden wollen. Dem liegt aber immer ein Irrtum zugrunde. In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles was Menschen hervorbringen, rassisch, blutsmäßig bedingt."

Zu kompliziert

Die durch Quantenmechanik und Relativitätstheorie ausgelöste wissenschaftliche Revolution war für Lenard und seine Mitstreiter zu wenig anschaulich, zu theoretisch und zu kompliziert (vielleicht verstanden sie die neuen Theorien auch einfach nicht). Alles sollte weiterhin auf der klassisch-mechanischen Grundlage der bisherigen Physik aufbauen, die neuen Erkenntnisse mussten falsch sein. Um das zu demonstrieren entwickelte Lenard die "Deutsche Physik".

Gegen die Relativitätstheorie von Einstein setzte Lenard seine eigenen Ideen die auf der alten Vorstellung eines Äthers basierten. In einer 1923 erschienenen Arbeit mit dem Titel "Über die Lichtfortpflanzung im Himmelsraum" erklärt er sein Konzept von "Äther und Uräther", das einen "Ausweg" aus der seiner Meinung nach fehlgeleiteten Entwicklung der Physik darstellt:

"Der Ausweg führt weg von der nur mathematisch formelmäßigen, auf physikalisches Denken verzichtenden Behandlungsart des Gegenstandes ('Relativitätstheorie'), mit welcher man mangels anderer Lösung glaubt sich begnügen zu müssen."

Günstlinge im NS-Betrieb

Einsteins Erkenntnisse, die zeigten, dass ein Äther in der Physik nicht gebraucht wird, ignorierte Lenard und erklärte stattdessen, dass jeder Planet von seinem ganz eigenen Äther umgeben sei; das sich zwischen den Planeten eine andere Art von Äther befände und der Äther auch innerhalb der Atome vorhanden sei.

Daraus leitete er die Grundlagen seiner "Deutschen Physik" ab und wurde dabei von Kollegen wie Johannes Stark (ebenfalls ein deutscher Physik-Nobelpreisträger) oder Rudolf Tomaschek unterstützt. Die politischen Entwicklungen in Deutschland, der Ausschluss der jüdischen Wissenschafter aus dem Forschungsbetrieb und der staatlich unterstützte Antisemitismus machten es den "deutschen Physiker" leicht, sich an den Universitäten durchzusetzen.

Zumindest kurzfristig, denn der Rest der wissenschaftlichen Welt ließ sich vom ideologischen Alleingang der deutschen Antisemiten nicht beirren. Vor allem, da deren "Theorien" mit jeder neuen Erkenntnis aus Quantenmechanik und Relativitätstheorie an Plausibilität verloren (sofern sie die überhaupt je besessen haben). Und spätestens, als mit der Entdeckung der Kernspaltung auch die nationalsozialistischen Machthaber an den militärischen Entwicklungen und dem Bau einer Atombombe interessiert waren, konnten Lenard und seine Kollegen nicht mehr verbergen, dass ihre "Deutsche Physik" nicht geeignet war, die Natur vernünftig zu beschreiben.

Die "Deutsche Physik" war zum Glück nur ein kurzlebiges Phänomen. Die Behauptung Albert Einstein und die anderen jüdischen Wissenschafter hätten einen "schädlichen Einfluss" auf die Naturwissenschaft gehabt. war ein grandioser Irrtum. Heute stellen Quantenmechanik und Relativitätstheorie die Basis der modernen Physik dar und haben unsere Welt auf eine Weise verändert, die anders nicht möglich gewesen wäre.

Gefährlicher politischer Einfluss

Vor den Irrtümern, die durch eine ideologische Beeinflussung der Wissenschaft entstehen können, muss man sich aber auch heute noch in Acht nehmen. Idealerweise ist die wissenschaftliche Methode ausreichend robust und an der Realität orientiert, um sich dadurch nicht beirren zu lassen. Aber wenn der politische Einfluss von außen groß genug wird, dann wird es gefährlich.

Meistens interessiert sich die Politik nicht ausreichend stark für die Wissenschaft, als dass das ein großes Problem wäre. Wenn aber – wie zum Beispiel aktuell in den USA – Wissenschaftler der staatlichen Institute nicht mehr frei über Themen wie den Klimawandel kommunizieren dürfen, sondern ihre Ergebnisse erst vorab von Seiten der Politik überprüfen (und zensieren) lassen müssen, dann kann das nicht heftig genug kritisiert werden.

Die "Deutsche Physik" ist zum Glück Geschichte – es bleibt zu hoffen, dass man aus dieser Geschichte gelernt hat und es nicht demnächst eine "Amerikanische Physik" gibt... (Florian Freistetter, 28.3.2017)